Lahaina – Julia Görges schossen die Tränen in die Augen, Andrea Petkovic setzte zu einer emotionalen Wutrede an, und Bundestrainerin Barbara Rittner sprach von einem «Skandal».
Noch Stunden nach dem peinlichen Nationalhymnen-Zwischenfall mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes beim Fed-Cup-Gastspiel auf Hawaii debattierten die deutschen Tennis-Damen über den «traurigen und schockierenden Moment», wie es Teamchefin Rittner formulierte.
Es war schon nach Mitternacht Ortszeit, als in dem frei stehenden Häuschen auf der Anlage des Royal Lahaina Resorts noch immer das «Hymnen-Gate» thematisiert wurde, wie es aus der Delegation des Deutschen Tennis Bundes verlautete. «Das ist mit Abstand das Schlimmste, was mir jemals passiert ist in meinem Leben», sagte Andrea Petkovic nach ihrer 6:7 (10:12), 2:6-Niederlage gegen Alison Riske. «Das war das absolut Letzte, das absolut Allerletzte.»
Mit etwas Abstand relativierte Petkovic am nächsten Morgen ihre Worte. «Das Ganze passierte unmittelbar vor meinem Match. Wir waren vor allem überrumpelt&fassungslos und wussten nicht, wie wir reagieren sollten», schrieb sie.
Was Spielerinnen und Verantwortliche des DTB tags zuvor so dermaßen erzürnte, war eine nicht für möglich gehaltene Panne bei der Eröffnungszeremonie. Der Solist auf dem Center Court in Lahaina schmetterte bei der Nationalhymne die erste Strophe des Deutschlandliedes, die mit den Worten «Deutschland, Deutschland über alles» beginnt – und die in der Zeit des Nationalsozialismus zusammen mit dem heute verbotenen NS-Kampflied «Horst-Wessel-Lied» gesungen wurde.
«Die Tatsache, dass im Jahr 2017 eine falsche Hymne gespielt wird, die man mit viel Grausamkeit aus der lange zurückliegenden Vergangenheit assoziiert, war für die Spielerinnen, die Betreuer, die anwesenden Funktionäre sowie die deutschen Fans gleichermaßen verstörend wie schockierend», sagte DTB-Präsident Ulrich Klaus.
Wie es zu dem verhängnisvollen Fehler kommen konnte, war den Verantwortlichen des ausrichtenden amerikanischen Tennisverbandes zunächst unerklärlich. Zwar entschuldigten sich die Gastgeber sofort in einer Pressemitteilung. Doch vor allem die politisch interessierte und hochemotionale Petkovic fand den Vorfall unverzeihlich.
«Das war der Inbegriff der Ignoranz. Wir sind in 2017, wir sind im 21. Jahrhundert. Und dann kann und darf so etwas nicht mehr passieren», sagte Petkovic. Einmal in Rage, fuhr die 29 Jahre alte Darmstädterin unmissverständlich fort: «Ich habe mich noch nie in meinem Leben so respektlos behandelt gefühlt. Wenn wir irgendwo in Timbuktu spielen oder weiß der Geier wo, okay, aber in Amerika? Im 21. Jahrhundert? Dass so etwas passiert, ist echt bezeichnend und eine absolute Unverschämtheit, eine Frechheit in meinen Augen.»
«Mit Abstand und etwas mehr Rationalität» erläuterte Petkovic später: «Es ist nicht das Schlimmste, das mir im Leben je passiert ist. Aber es ist das Schlimmste, das mir in meinem Fed Cup Leben passiert ist.» Um kurz nach elf Uhr Ortszeit hatte der Stadionsprecher gerade mit den üblichen Freundlichkeiten beide Teams begrüßt. Nur wenige Sekunden nachdem er die Zuschauer mit den Worten «Bitte erheben Sie sich für die Nationalhymnen» zum Aufstehen aufgefordert hatte, begann der Solist zu singen.
Nach den ersten vier Worten schauten sich die Spielerinnen und Teambetreuer ungläubig an. Görges fing an zu weinen, Co-Trainer Dirk Dier schlug fassungslos die Hände vors Gesicht. Mannschaft und Zuschauer stimmten «Einigkeit und Recht und Freiheit» an, was aber gegen die Lautsprecher-verstärkte Stimme keine Chance hatte. Für einen kurzen Moment dachte Petkovic daran, das Stadion zu verlassen. Rittner überlegte, dem Sänger das Mikrofon zu entreißen.
Dass sich Görges in der Partie gegen Coco Vandeweghe am Knie verletzte und das Match beim Stand von 3:6, 1:3 wegen Regens abgebrochen und auf Sonntag vertagt werden musste, passte ins Bild eines «Scheiß-Tages», wie es Rittner formulierte.
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(dpa)