Halle/Westfalen – Nur wenige Stunden nach dem lang vermissten Spaß bei einem Showkampf kam für Angelique Kerber der nächste Rückschlag. Im westfälischen Halle hatte die Weltranglisten-Erste am Samstag die Zuneigung der deutschen Tennis-Fans genossen.
Am Sonntag verbreitete sich die bittere Nachricht, dass die Kielerin drei Wochen nach ihrem ernüchternden Erstrunden-Aus bei den French Open nicht wie geplant in Birmingham antreten kann. Eine Oberschenkelverletzung hindert die Kielerin am Auftakt zur Rasen-Saison.
«Ich habe bereits in den vergangenen Tagen ein bisschen was gespürt und gestern Abend hat es sich dann etwas schlimmer angefühlt», sagte Kerber. «Ich will einfach nichts riskieren.»
In Halle, wo von diesem Montag an die Herren um Nachwuchsstar Alexander Zverev und Altmeister Tommy Haas spielen werden, schien für Kerber die Welt noch in Ordnung. Die Leute jubelten ihr zu, als habe es die enttäuschende erste Hälfte des Jahres 2017 nicht gegeben. Im Gerry-Weber-Stadion war Kerber noch die Australian-Open-Siegerin, der US-Open-Champion, die Finalistin von Wimbledon und die Silbermedaillen-Gewinnerin von Rio Janeiro.
«Es ist immer wieder überragend, zu Hause zu spielen», sagte Kerber, die am Showkampf an der Seite von Ex-Profi Thomas Muster gegen Michael Stich und Barbara Schett sichtlich Freude hatte. Kerber scherzte mit Spaßvogel Muster, klatschte den Linienrichter ab und schlug Wimbledonsieger Stich sogar ein Ass um die Ohren.
Es war die Wohlfühloase, die Kerber so sehr braucht, die ihr bei der Hatz um die Welt als Nummer eins aber verloren gegangen ist. Auch deshalb und wegen Blessuren verlief die Saison bislang enttäuschend, wartet sie 2017 immer noch auf den ersten Turniersieg. Schon in Madrid im Mai hatte sie Probleme am hinteren linken Oberschenkel gehabt.
Nach dem Turnier in Birmingham ist noch ein Start bei der Veranstaltung in Eastbourne vorgesehen, für die sie extra eine Wildcard in Anspruch genommen hat. «Ich hoffe noch, dass ich bis Eastbourne wieder fit bin», sagte Kerber. Schließlich braucht sie mit Blick auf das Anfang Juli beginnende Rasen-Spektakel in Wimbledon Spielpraxis. «Ich freue mich auf die Rasen-Saison», sagte Kerber.
Für die 29-Jährige sollte der zweite Jahresabschnitt eine Art Neustart werden – den sie aber mit dem altbewährten Umfeld angehen wird. Änderungen sind erst einmal nicht vorgesehen, ein Trainerwechsel habe «nie zur Debatte gestanden», sagte Kerber dem TV-Sender Sky.
Das hatte nach ihrer Erstrunden-Klatsche gegen die Russin Jekatarina Makarowa in Paris noch anders geklungen. Da hatte sie eingeräumt, dass es «so nicht weitergehen kann». Viele hatten das so gedeutet, als würde sie sich von ihrem langjährigen Coach Torben Beltz trennen oder zumindest einen weiteren Trainer ins Team holen. Doch Kerber ist keine, die schnell etwas ändert, weshalb sie nun auch sagte, sie habe «vollstes Vertrauen» in ihr Umfeld. Schließlich habe sie gerade mit Beltz das so fantastische Jahr 2016 erreicht.
Ob ein einfaches Weiter so aber reicht, um wieder zu alter Stärke zu finden, ist fraglich. Denn der Druck, mit dem Kerber bislang in diesem Jahr so sehr zu kämpfen hatte, wird nicht weniger. Kerber hat in den kommenden Wochen und Monaten viele Punkte zu verteidigen, bekommt sie jetzt nicht die Kurve, droht ihr auch ein Abrutschen in der Weltrangliste. Doch an all das wollte Kerber am Samstag im beschaulichen Halle nicht denken. Sie genoss das Spiel ohne jeden Druck und mit dem 7:6 (8:6), 3:6, 12:10 sogar ein ganz kleines Erfolgserlebnis.
Fotocredits: Friso Gentsch
(dpa)