London – Am Samstag gegen 23.00 Uhr geht in London die Ära Usain Bolt zu Ende. Endgültig. Und danach? Die Leichtathletik sucht ihren neuen Superstar.
Aber einen wie Bolt, der Ausstrahlung, Charisma und Erfolge so auf sich vereint hat, wird es kaum mehr geben. Wenigstens einen wie Carl Lewis, Sergej Bubka, Merlene Ottey oder Jelena Issinbajewa? Und: Was braucht es überhaupt für diese Rolle?
«Bolt saugt allen Sauerstoff aus einem Stadion, er zieht alle Augen auf sich», schreibt die britische Tageszeitung «The Guardian». Selbst die Niederlage des achtfachen Olympiasiegers im 100-Meter-Finale kratzt nicht am Image der Lichtgestalt, im Gegenteil: Bolt zeigte der Sportwelt: Hey, ich kann auch anständig verlieren.
«Ich bin traurig, dass er geht», sagt Weltverbandspräsident Sebastian Coe vor Bolts geplanten letzten Rennen über 4×100 Meter. «Der Junge ist eine Sensation. Keiner außer Muhammad Ali war so mit den Menschen verbunden.»
Der Weltrekordler flirtet noch Sekunden vor dem Startschuss mit dem Publikum und machte seine Siegerpose zum Markenzeichen. Auch seine Lässigkeit ist Weltklasse. «Neben den außergewöhnlichen sportlichen Erfolgen besticht Usain Bolt auch durch seine Persönlichkeit. Er weiß sich sehr gut zu inszenieren», sagt André Bühler, Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing in Nürtingen.
Bolts Rolle – auch als Großverdiener – würde gerne der 200- und 400-Meter-Spezialist Wayde van Niekerk einnehmen. «Eine coole Person», sagt der Jamaikaner. «Aber ich habe ihm gesagt, er muss seine Persönlichkeit ein bisschen ausbauen.» Der smarte Südafrikaner verspricht: «Die Person, die ich bin und in Zukunft sein will, wird sich entwickeln. Ich muss die Leute mehr ansprechen.»
Van Niekerk folgen 80 000 Menschen auf Twitter, 46 700 auf Facebook und 195 000 auf Instagram. Auch in den sozialen Medien eilt Bolt weit vorneweg: Alleine auf Facebook hat er an die 19 Millionen Anhänger.
«Usain Bolt hat es verstanden, mit seinem lockeren, kommunikativen und sehr mutigen Auftreten eine Marke aufzubauen, die Konsumenten Spaß macht und die klare Assoziationen auslöst», erklärt Raphael Brinkert, Geschäftsführer der Sport-Abteilung bei der internationalen Werbeagentur Jung von Matt. Niemand verkörpere die jamaikanische Lockerheit so sehr wie der Supersprinter.
Um ein ganzes Stadion für sich einzunehmen, da braucht man mehr als Werbepartner und soziale Netzwerke: «Den sportlichen Erfolg und das Potenzial zur medialen Inszenierung. Beide bedingen sich gegenseitig», erklärt Marketing-Professor Bühler. «Und wenn der Sportler dann noch eine gute Story mitbringt, macht es den Aufbau zu einer Sportmarke noch leichter.»
Eine aufsehenerregende Lebensgeschichte lieferte auch der unterschenkelamputierte Oscar Pistorius. Der «Blade Runner» aus Südafrika rannte eine Zeit lang in der Leichtathletik mit, ist inzwischen aber wegen Mordes an seiner Lebensgefährtin verurteilt. Mo Farah, der britische Langstreckenläufer, rührte seine Landsleute nicht nur mit seinem Olympia-Doppelsieg 2012 in London, sondern mehr mit seiner Vita: vom Flüchtling aus Somalia zum Nationalhelden.
Schon nach dem allerersten Erfolg machen so manche Leichtathleten einiges falsch. «Viele Sportler setzen sich nicht mit stringenter und konsequenter Markenführung auseinander», sagt Experte Brinkert. Sie würden kurzfristig eher ans Geld denken – ohne auch bei Verträgen ihre langfristige Entwicklung im Blick zu haben.
Auch Bühler sieht da einige Fallstricke: «In der Eigenvermarktung sind viele Sportler eher hemdsärmelig und wenig strategisch unterwegs.» Also ohne daran zu denken, welches Image man leben und vermarkten möchte und welche potenziellen Werbepartner dazu passen würden. Solche Gedanken müssen sich die Berater der Weltmeister von London vermehrt machen – jetzt, wo die Leichtathletik den größten Star ihrer Geschichte verliert.
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(dpa)