Wisla – An das Münchener Großstadtflair muss sich Andreas Wellinger noch gewöhnen. «Das ist eine neue Herausforderung», sagt Deutschlands Top-Skispringer, «aber auch eine neue Lebensqualität. Es ist sehr cool, wenn man aus der Haustür geht und alles da hat.»
Mit dem Umzug aus dem beschaulichen Chiemgau in die pulsierende Millionen-Metropole verkürzt der Mixed-Weltmeister und zweifache WM-Zweite von Lahti im Olympia-Winter aber vor allem seine Fahrdistanzen, um auf der Schanze noch weiter springen zu können. «Ich versuche meine Wege zu optimieren, weniger im Auto zu sitzen», berichtet Wellinger.
Die Fachhochschule Ismaning, an der er BWL studiert, ist nun genauso um die Ecke wie der Flughafen. Von dort ging es für den 22-Jährigen in dieser Woche nach Wisla, wo ab Freitag der Weltcup-Auftakt ansteht. «Ich möchte von Anfang an in den Wettkampfrhythmus finden und gute Sprünge auf hohem Niveau abrufen», formuliert Wellinger sein Ziel. «Ich mag das Profil der Schanze und die Atmosphäre in diesem kompakten Stadion. Entsprechend motiviert bin ich für den Saisonstart.»
Im vergangenen Winter war Wellinger nach dem Ausfall von Frontmann Severin Freund, der wegen eines zweiten Kreuzbandrisses auch in diesem Winter fehlt, ins Rampenlicht gesprungen. Dort will er bleiben. «Die vergangene Saison war extrem geil, aber es ging mit den Erfolgen erst im Januar los. Der Weltcup beginnt jedoch im November. Deshalb werde ich versuchen, von Beginn an bis zum Ende auf einem hohen Niveau zu springen», sagt Wellinger.
Bundestrainer Werner Schuster traut ihm das zu. «Sein Zugang zum Sport ist noch mal professioneller geworden, er hat Motivation aus der vergangenen Saison geschöpft», sagt Schuster über den Team-Olympiasieger von 2014. «Er hat sich noch einmal entwickelt. Sowohl persönlich als auch körperlich.»
Bei diesem Prozess haben Wellinger einige schmerzhafte Erfahrungen nach dem Olympia-Gold geholfen. Insbesondere der schwere Sturz in Kuusamo, der ihn die WM 2015 kostete, hinterließ Spuren und trug zum Reifeprozess des jungen Wilden bei. «Er ist mit 17 hier reingeplatzt, mit 18 Olympiasieger geworden und hat dann schon ein wenig gedacht: Das ist ja toll hier, die Welt liegt mir zu Füßen», sagt Schuster im Rückblick.
Mittlerweile legt seine Nummer 1 eine hochprofessionelle Einstellung an den Tag – nach dem Vorbild des verletzten Severin Freund. «Man kann den Erfolg nicht planen, dafür ist die Sportart zu sensibel», sagt Wellinger. «Man kann es nicht erzwingen, muss es einfach passieren lassen. Und auch wenn es läuft, muss man weiterarbeiten. Jede Woche, jeden Tag, jede Stunde.»
Die Erfolge der Vorsaison, in der Wellinger zwölf Mal auf dem Weltcup-Podium stand, haben ihn stark gemacht. Sie haben ihm aber auch eine Last aufgebürdet – die des Vorzeigespringers, auf den sich die gesamte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit konzentriert.
«Man darf ihm nicht zu viel aufladen. In diese Rolle, den deutschen Skisprung zu repräsentieren, musste ja auch Severin erst hineinwachsen», warnt Schuster vor zu hohen Erwartungen. «Deshalb wäre es für den Andi extrem hilfreich, dass ihm das Team nach wie vor zur Seite steht und er seinen Weg weiter gehen kann.» Wohin der im Olympia-Winter führen soll, ist klar: Nach ganz oben.
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(dpa)