Sinsheim – Leon Bailey nippte noch lange nach dem Schlusspfiff immer wieder aus der roten Plastikflasche, und es hätte niemanden gewundert, wenn ihm da jemand Champagner reingeschüttet hätte.
Mit seinem Hacken-Tor beim Gastspiel bei 1899 Hoffenheim verzückte der 20 Jahre junge Jamaikaner in der Fußball-Bundesliga vor allem seinen Club Bayer Leverkusen. Nach dem 4:1 (1:0) bei 1899 Hoffenheim schwärmten alle von ihm. «Ich habe das instinktiv gemacht. Ich stand mit dem Rücken zum Tor. Ich wusste, das Tor bewegt sich ja nicht», erklärte der Mann des Tages mit entwaffnender Logik.
So ein schönes Tor, räumte sein Trainer Heiko Herrlich, immerhin einst selbst ein langjähriger Erstliga-Stürmer, freimütig ein, «habe ich nie geschossen». Bailey hatte mit seinem Kunststück in der 43. Minute den Sieg der Werkself eingeleitet: «Ich hatte ja keine andere Wahl, weil ich mit dem Rücken zum Tor stand.» Ob es sein schönstes Tor war? «Das zweitschönste», sagte der Angreifer und verwies auf seinen Treffer in den Torwinkel für seinen Ex-Club KRC Genk in Wien, das von der UEFA als schönstes Tor der Europa-League-Saison 2016/2017 ausgezeichnet worden war.
Bailey bereitete vor 28 017 Zuschauer in der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena auch noch eines der beiden Tore von Lucas Alario (70./90.+3) vor. Zudem leitete er den Treffer von Julian Baumgartlinger (53. Minute) ein. Adam Szalai (87.) gelang das 1:3 für die Hoffenheimer. Deren Trainer Julian Nagelsmann war sichtlich angefressen, nachdem sein Team am Ende gnadenlos ausgekontert wurde. «Es kann mir keiner erzählen, dass der Gegner in den ersten 55 Minuten besser war als wir», sagte der 30-Jährige. «Der große Unterschied ist halt, die schießen zweimal aufs Tor und zweimal rein. Wir schießen achtmal aufs Tor und keinmal rein.»
Turbo-Bailey wirbelte die Kraichgauer nur so durcheinander und selbst Laien hätten darauf kommen können, dass der Mann des Tages aus dem Land von Supersprinter Usain Bolt kommt. «Der setzt immer wieder einen drauf. Wir laufen alle so schnell wie wir können, aber er ist immer noch ein bisschen schneller», sagte Lars Bender über den Hochgeschwindigkeitsdribbler, der kurz vor Weihnachten den achtfachen Olympiasieger Bolt am Flughafen London getroffen hatte. Baileys Sturmkollege Kevin Volland drückte es noch drastischer aus: «Das ist eine absolute Rakete! Wenn er und Karim Bellarabi gegeneinander sprinten, dann ist das eine andere Sportart.»
Bailey genießt längst den Respekt der gesamten Bundesliga. Der 13-Millionen-Euro-Einkauf war in einer «Kicker»-Umfrage unter den Profis zum zweitbesten Feldspieler der Hinrunde hinter Robert Lewandowski gewählt worden – und zum Aufsteiger der Hinrunde.
«Er ist extrem explodiert diese Saison. Ich hoffe, dass er so klar im Kopf ist, dass er weiß, dass er noch sehr jung ist und es auch andere Phasen gibt», sagte Lars Bender. Bailey kennt auch schwierige Zeiten: Das Riesentalent ist in Kingstons verrufenem Stadtteil Cassava Piece aufgewachsen und hielt sich bei seiner Tingeltour durch Europa auf der Suche nach einem Club als Jugendlicher illegal in Belgien auf.
«Im Moment gelingt Leon Bailey einfach alles», sagte Herrlich. Der Gelobte selbst versicherte brav, dass er hart arbeite, jeden Tag etwas Neues lerne und sehr dankbar dafür sei. Das galt auch für die Frage, ob er mit dem Begriff «Vizekusen» etwas anfangen könne – nachdem Bayer am Samstag den zweiten Tabellenplatz erobert hatte, der lange für die vergebenen Meisterschaften der Werkself stand. Zum ersten Mal an diesem Tag blickte Bailey ziemlich ratlos: «Nein, davon habe ich noch nie gehört.»
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(dpa)