Hamburg – Disziplin, Ordnung, Stabilität – Trainer Bernd Hollerbach will den Hamburger SV mit Grundtugenden zur Umkehr bewegen und so den Klassenverbleib sichern.
Ob er es tatsächlich vermag, ist gänzlich unklar. Zu tief und zu lange scheint der hanseatische Fußball-Bundesligist im Niedergang begriffen, als dass der Coach das Team in lediglich vier Monaten auf Erfolg umpolen kann.
Weil der Aufholbedarf riesig ist, hat er das Volksparkstadion dienstags und donnerstags zur Ganztagseinrichtung erklärt. Zwei Trainingseinheiten pro Tag mit Frühstück, Mittagessen und Ruhepause. Die übliche Heimfahrt zwischendurch fällt aus. Das soll den Teamgeist befördern. Erste Erkenntnis: Es wird mehr trainiert als unter dem am vergangenen Sonntag beurlaubten Markus Gisdol. Und: Die Laufeinheiten sind länger. Abwehrspieler Kyriakos Papadopoulos hatte am Dienstag Probleme und musste abreißen lassen.
Hollerbach ist bodenständig und ein ehrlicher Arbeiter. Er ist kein Schickimicki-Coach und auch nicht mediengeil. In der Öffentlichkeit zu schwadronieren ist sein Ding nicht. Reden allerdings steht ganz oben auf der Agenda, aber intern. Er will in Einzelgesprächen die mentalen Bremsen lösen, die die Profis eingelegt haben. «Die Mannschaft ist ein bisschen verunsichert durch die vielen Negativerlebnisse», sagt der Trainer und untertreibt grandios. Bis zum Spiel bei RB Leipzig am Samstag will der 48-jährige Franke schon Fortschritte im Selbstbewusstsein seiner Schützlinge erreichen.
Dabei sitzt dem früheren Linksverteidiger des HSV die Zeit im Nacken. Bis Monatsende muss er mit Sportchef Jens Todt entschieden haben, ob und wo personell nachgebessert wird. Die größten Defizite liegen in der Offensive (lediglich 15 Tore in 19 Spielen). Die nächsten Tage will der neue Coach sein Team im Training scannen und analysieren, dann will er mit Todt Transferbedarf erörtern. Der Sportchef hofft auf Bescheidenheit. Schon in den Tagen zuvor hat er gestöhnt. «Unsere Mittel sind begrenzt», sagte Todt.
Nicht ausgeschlossen, dass Investor und Gönner Klaus-Michael Kühne sich von der Aufbruchstimmung unter Hollerbach anstecken lässt und erneut Geld auf den Tisch packt. Kontakt zu Kühne, der von Gisdol eigentlich viel hielt, bestehe noch nicht, sagt der neue Trainer.
Hollerbach auf seinen Ziehvater Felix Magath zu reduzieren, dem er fünf Jahre als Co-Trainer bei Wolfsburg und Schalke zur Seite stand, wäre falsch. Vom Medizinball-Schleifer hat er sich einiges abgeguckt, aber «Holler» ist ein anderer Charakter. Während Magath persönliche Kontakte aufs Notwendigste reduziert und gern schweigt, sucht Hollerbach das Gespräch mit seinen Schützlingen. Er kann hart sein, muss es aber nicht.
«Er hat eine Mischung aus natürlicher Autorität und Herzlichkeit», lobt Todt die Neuerwerbung. Er habe sehr viel gelernt von Magath, meint Hollerbach. Aber jeder Trainer habe «seine eigene Persönlichkeit». Und: «Man muss auch der Mannschaft gegenüber authentisch sein.»
Mit Interesse hat die Mannschaft die Botschaft vernommen, dass alles auf Null geht. «Alles ist offen, und bei allen geht es wieder von vorn los», betont Hollerbach. Das betrifft das Spielsystem, das betrifft den Kader und auch das Tor. Nicht mal zwei Wochen zuvor hatte Gisdol einen Wechsel von Christian Mathenia zu Julian Pollersbeck vorgenommen. Jetzt müssen beide erneut ein Casting über sich ergehen lassen. Hollerbach: «Zum Wochenende werde ich eine Entscheidung treffen.»
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(dpa)