Deutschland in heller Aufregung: Als Philipp Lahm im August 2011 mit seiner Autobiografie auf den Buchmarkt kam, da war es der wohlkalkulierte Tabubruch: „Der feine Unterschied“ hieß der Titel des Buches, in dem der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft und Abwehrspieler des FC Bayern München über sich und seinen Weg zum professionellen Fußball berichtete.
Vor allem aber waren es die Aussagen über ehemalige Mitspieler und Trainer im deutschen Fußball, die dank eines Vorabdrucks in einer Boulevardzeitung für mächtigen Wirbel sorgten: Altgediente Profis wie Otmar Hitzfeld und Rudi Völler reagierten noch vor Erscheinen des Buches äußerst pikiert, hatte es bis dahin doch noch nie ein Spitzenfußballer gewagt, so sehr aus dem Nähkästchen zu plaudern. Rudi Völler durfte über sich erfahren, dass Lahm in „lustig“, eher aber „völlig unsympathisch“ findet. Aber auch Jürgen Klinsmann bekam heftige Kritik ab und musste sich im Kern der Vorwürfe von unzureichendem Handeln erwehren – ein Umstand, der Jürgen Klinsmann seinerzeit tief traf. Der Tabubruch funktionierte: Die Autobiografie verkaufte sich bestens, Lahm war in den Schlagzeilen, die Diskussion gesetzt.
Philipp Lahm heizte die Diskussionen an
Doch die eigentliche Frage, mit der sich der gebürtige Münchner als Kapitän der Nationalmannschaft auseinandersetzen musste, war eine ganz andere. Darf eine Führungspersönlichkeit, so diskutierten nicht nur die Medien, sondern auch die Stammtische zwischen Nordsee und Thüringer Wald, so sehr aus dem Innenleben plaudern? Darf er in der Öffentlichkeit seinen Gedanken so sehr freien Lauf lassen, aus den Teambesprechungen berichten und die Charakter seiner Kollegen und Vorgesetzten so ungeniert sezieren?
Kritik gegen den Fußballer ist verstummt
Ein knappes Jahr später, da in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft stattfindet, ist die Diskussion verstimmt. Das hat nicht nur den ganz pragmatischen Hintergrund, dass sich die Kommentatoren und Beobachter, vor allem aber die Fans auf die Spiele konzentrieren. Das hat vor allem die Ursache, dass Philipp Lahm mit seiner Leistung im fußballerischen wie im menschlichen Bereich alle Kritiker widerlegt. Als Kapitän der Nationalmannschaft macht er einen hervorragenden Job. Routiniert gibt er Interviews, stellt sich vor die Mannschaft, ist der erste Ansprechpartner für Bundestrainer Jogi Löw und damit eine wichtige Stütze für die Mannschaft. All das zeichnen seine Fähigkeiten aus und belegen, dass Philipp Lahm tatsächlich eine Führungspersönlichkeit ist. Eine, die auch immer wieder mit mahnenden Worten vor der Kraft und dem Erfolg des Spiels international renommierter Mannschaften wie Spanien warnt.
Stütze nach innen und außen
Vor allem aber ist es seine Leistung während der Spiele, mit denen Lahm nach innen wie nach außen für Ruhe sorgt. Gegen Griechenland erzielte er das wichtige 1:0 in der 39. Minute – ein Tor, das dem deutschen Spiel eine enorme Sicherheit verlieh. Zugleich ist er damit zu einer Art Motor des deutschen Spiels geworden, einer, der dafür sorgt, dass das Spiel ruhig läuft und nicht ins Stottern gerät. Durch den Bundestrainer wird so viel ausgeglichene Leistung belohnt. Inzwischen ist Philipp Lahm mit Thomas Häßler und Jürgen Klinsmann gleichauf, wenn es um die Zahl der EM-Einsätze als Nationalspieler geht: Alle drei Spieler können auf 13 Einsätze verweisen. Wird Lahm im Match gegen Italien eingesetzt, übernimmt er mit 14 Einsätzen die Spitze. Lahms Autobiografie ist Geschichte. Geschrieben, diskutiert und im Buchregal abgestellt, hat Philipp Lahm bewiesen, dass er mit Kriktik umgehen kann. Die eigentliche Herausforderung, durch menschliche Tugenden und spielerisches Können die Kritik gegen sich selbst überflüssig zu machen, ist gelungen.