Berlin – Die weiße Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, die Hosen ungewohnt lang und dann noch diese Handschuhe, damit’s keine Blasen gibt. Heike Drechsler ist zurück an der Weitsprung-Grube – aber quasi inkognito und für die Zuschauer im Berliner Olympiastadion kaum zu erkennen.
Für die Olympiasiegerin von 1992 und 2000 sind es die vierten internationalen Leichtathletik-Titelkämpfe in Deutschland, dennoch betritt sie Neuland: Die 53-Jährige ist bei der EM als Kampfrichterin dabei. Da ebnet sie nach den Weitsprüngen mit einem Schieber die Oberfläche. «Das ist richtig Gartenarbeit. Wie wenn man einen Fußballplatz umgräbt», sagt Drechsler der Deutschen Presse-Agentur und lacht. Hauptsache mittendrin, statt nur dabei: «Ich würde auch den Diskusring trocken reiben.»
Für die gebürtige Thüringerin und langjährige Wahl-Karlsruherin ist es ein ganz besonderes Heimspiel, da sie seit zwei Jahren auch in Berlin lebt. Bei der EM 1986 holte Drechsler Weitsprung- und 200-Meter-Gold, bei der WM 1993 ebenfalls in Stuttgart erneut den Titel in ihrer Spezialdisziplin. Zwei Jahre vor ihrem Karriereende kam sie bei der EM 2002 in München nach Achillessehnenproblemen noch auf Rang sechs. Heute arbeitet die fünfmalige Europameisterin für die Initiative einer Krankenkasse («Deutschland bewegt sich») – und in ihrer Freizeit steht sie öfter wieder an der Weitsprung-Anlage.
Im vergangenen Jahr machte Drechsler als Mitglied des LAC Olympia 88 Berlin ihren Schein als Kampfrichterin und war auch bei den deutschen Jugendmeisterschaften in Ulm im Einsatz. «Sie hat sich fantastisch gut ins Team eingefügt und war unheimlich umgänglich», sagte ihr Team-Chef Frank-Martin Schunack damals. «Es ist einfach schön, wenn man sich an der Basis nützlich machen kann. Ich wollte mich mit meiner Erfahrung einbringen», so Drechsler zu ihren Beweggründen.
Aus Erfahrung weiß sie auch: «Die Kampfrichter bekommen immer alles ab, wenn es beim Athleten nicht läuft.» Die vielen technischen Regeln findet sie spannend, «das ist einem als Sportler ja gar nicht so bewusst. Wir freuen uns jedenfalls alle und hoffen, dass wir viel vom Flair im Olympiastadion mitbekommen.»
So geht es auch dem früheren Weitsprung-Europameister Sebastian Bayer, der bei der Laserweitenmessung an der Grube im Einsatz ist, und Betty Heidler: Die einstige Hammerwurf-Weltrekordlerin gewann bei der WM 2009 in ihrer Heimatstadt Berlin Silber und ist im Zielbereich im Einsatz. Auch die Berlinerin möchte «der Leichtathletik etwas zurückgeben».
Drechsler stand schon mal acht Stunden am Stück bei deutschen Senioren-Meisterschaften an der Sandgrube, die EM ist aber nochmal eine ganz besondere Herausforderung. «Man muss darauf achten, dass man vor keiner Kamera und der Lasermessung steht – sich also so unsichtbar wie möglich machen», erklärt sie. Ein ganz neues Gefühl für einen Leichtathletik-Star, der weit über 20 Jahre im Mittelpunkt stand.
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(dpa)