München – Thomas Dreßen mag sich bei dem bösen Crash in Beaver Creek zwar das rechte Knie schwer verletzt haben – seinen pragmatischen Optimismus hat der Skirennfahrer trotz des Saison-Aus nicht verloren.
Als der Oberbayer auf Krücken und mit dicker Schiene um das kaputte Gelenk durch den Münchner Flughafen humpelte, ging sein Blick bereits in die Zukunft. «Ich schaue jetzt schon wieder nach vorne, ich bin noch nicht so alt», sagte der 25-Jährige und hatte sogar ein Lächeln in dem von kleinen Schrammen gezeichneten Gesicht. 40 Stunden nach dem Sturz und nach einem langen Flug aus Denver hatte seine Reha zumindest mental schon begonnen.
Dreßen war schon auf dem Heimflug LH 481 und holte sich von seinem Platznachbarn, dem österreichischen Ski-Routinier Hannes Reichelt, Tipps für die Zeit nach einer so schweren Kreuzband-Verletzung, da hatte der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier bereits die Tragweite des Ausfalls seines Kitzbühel-Siegers illustriert. «Eine Saison wie letztes Jahr, das können wir jetzt nicht mehr wiederholen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist schon fast wie ein Fluch, der auf dieser alpinen deutschen Mannschaft liegt. Das ist unglaublich, unfassbar.» Kaum ein Saison-Aus hätte den DSV härter treffen können.
Als Dreßen am Freitag vor Schmerzen schreiend am Fangzaun lag, war die Schwere der Verletzung schon zu erahnen. Das vordere Kreuzband im rechten Knie war gerissen, die linke Schulter kugelte er sich selbst noch im Schnee liegend wieder ein. Der Verdacht, dass auch das hintere Kreuzband gerissen sei, bestätigte sich bei einer ersten Untersuchung am Sonntag in München nicht. Es war jedoch zunächst nicht auszuschließen, dass noch andere Verletzungen vorlagen. Vom Flughafen ging es direkt in die Orthopädische Klinik München. «Es ist Scheiße gelaufen. Da kann man nichts mehr ändern. Mir wäre es auch lieber, wenn es anders wäre.»
Nun stehe an erster Stelle, wieder komplett gesund zu werden, betonte Dreßen. «Ich mache mir da überhaupt keinen Stress. Ich habe auf alle Fälle das Ziel, dass ich wieder zurückkomme. Und ich werde zurückkommen. Aber wie schnell, wie lange das dauert – keine Ahnung. Ich gehe erst wieder auf die Ski, wenn es zu 100 Prozent passt», sagte der Oberbayer und ergänzte: «Ganz ehrlich: Wenn es 12 oder 18 Monate dauert, dann ist es mir nicht wurscht, aber ich nehme es in Kauf, wenn ich dafür danach keine Probleme mehr habe.»
Statt Rennen und Siegerehrungen stehen vorerst Operationen und Reha-Maßnahmen an. Dreßen hoffte, dass noch am Sonntag ein erster Eingriff möglich sei. «Ich habe eine Tasche so gepackt, dass ich gleich einmal ein Zeit da bleiben kann», erzählte er grinsend.
Auf die erfolgversprechende Kombination mit Dreßen in den Speed- und Felix Neureuther in den Technik-Disziplinen muss der Deutsche Skiverband auch in diesem Winter also verzichten. Neureuther fehlte nahezu die komplette vergangene Saison und ist nun noch durch einen gebrochenen Daumen ausgebremst. Wann er sein Comeback gibt, ist offen. Dreßen hat voraussichtlich eine noch langwierigere Reha vor sich, als sie der 34 Jahre alte Routinier hinter sich gebracht hat.
Für Dreßen ist es die erste schwere Verletzung seiner Karriere. «Der Thomas ist ein super Bursch‘. In diesem Moment, da er sich verletzt hat, zeigt er sehr, sehr viel Größe», sagte Herren-Cheftrainer Mathias Berthold in den USA. «Die mentale Einstellung wird ihm sicherlich helfen, über diese Verletzung hinwegzukommen.»
Für Berthold und seine Trainerkollegen geht es nun darum, nicht nur die eigene Enttäuschung zu verarbeiten, sondern auch den Rest des Speedteams wieder in die Spur zu bekommen. Denn nach dem guten 13. Platz von Josef Ferstl in der Abfahrt am Freitag war im Super-G tags darauf ein 30. Platz die beste Ausbeute. Alle anderen verpassten die Punkteränge. «Wenn du nur einen Punkt holst, dann ist das zu wenig. Das ist nur durch die Gesamtsituation zu entschuldigen», sagte Maier.
Dreßen bat um Nachsicht mit seinen Teamkollegen: «Lasst die einfach mal in Ruhe arbeiten, dann kriegen die das auch wieder hin.»
Ohne den Kitzbühel-Champion fehlt dem Team die Spitze. «Du hast jetzt keinen automatischen Top-Fünf-Kandidaten mehr», analysierte Maier. «Mit dem Dreßen, das ist ja schon fast wie mit dem (Marcel) Hirscher. Der gewinnt zwar immer, aber bei Thomas weißt du zumindest, du bist immer bei den besten Zehn dabei.» Diese Sicherheit fehlt nun – und prompt war das Team so schwach wie zuletzt vor mehr als dreieinhalb Jahren. Kleiner Trost: Die nächsten Speedrennen sind in Gröden. Dort holte Josef Ferstl vergangenen Winter seinen ersten Weltcup-Sieg.
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(dpa)