Berlin – Was früher falsch war, ist im Leben des John McEnroe schon seit vielen Jahren richtig. Früher war sein schlechtes Benehmen auf dem Tennisplatz manchmal nicht mehr zu ertragen, heute ist er gerngesehener Gast bei Legenden-Matches.
Zu aktiven Zeiten hätte der einstige Weltranglisten-Erste oft einen Maulkorb gebraucht, dieser Tage werden seine scharfzüngigen Fernsehkommentare und frechen Interviews immer noch geschätzt – wenn auch nach wie vor nicht von allen. Am Samstag wird der in Wiesbaden zur Welt gekommene Amerikaner 60 Jahre alt.
In Deutschland, wo der Soldatensohn nur wenige Monate war, bleibt der New Yorker vor allem wegen eines Matches in Erinnerung. Am Morgen des 25. Juli 1987 unterhielten sich viele Menschen darüber, wie sie die Partie von McEnroe gegen Boris Becker verfolgt hatten, ob sie überhaupt bis zum Ende wach geblieben waren. Und wer bis zum Samstagmorgen durchgehalten hatte, konnte beim Frühstück schwärmen, wie Becker seinen Rivalen beim Davis-Cup-Relegationsspiel zur 2:0-Führung niedergerungen hatte. «Ein großes Spiel, über das man noch lange reden wird», sagte der damalige ARD-Kommentator Volker Kottkamp am Ende der sechseinhalbstündigen Übertragung des Matches aus dem fernen Hartford im US-Bundesstaat Connecticut.
Bei den Australian Open vor einigen Wochen saßen der Hobby-Musiker McEnroe und der heutige Herren-Tennis-Chef und TV-Kommentator Becker mit einigen anderen alten Davis-Cup-Helden zusammen. McEnroe spielte Gitarre, und alle zusammen stimmten zum Bob-Dylan-Klassiker «Knockin‘ on Heaven’s Door» einen Abgesang auf den reformierten Davis Cup an.
An einer guten Portion Selbstironie mangelt es dem einstigen Weltranglisten-Ersten jedenfalls heutzutage nicht mehr, die Profis geben bei den Gesprächen auf dem Platz auch mal freche Antworten zurück. So wie der Franzose Lucas Pouille, den McEnroe nach dessen erstem Halbfinal-Einzug bei einem Grand-Slam-Turnier fragte, ob dies nun der schönste Moment seines Lebens sei. «Ja – und gut, dass Du dabei bist», entgegnete Pouille.
Einschüchtern lassen sich die Stars nicht mehr. Rafael Nadal lehnte es höflich ab, sich auszuziehen und den Fans seinen durchtrainierten Körper zu zeigen. Weit ging McEnroe bei seinen Fragen schon immer gern, so wollte er einst vom Argentinier David Nalbandian wissen, warum er immer so stark schwitze – und brachte Nalbandian vor dem Publikum damit in Verlegenheit.
Eine gewisse Selbstverliebtheit und der unverminderte Drang auf die große Bühne ist wohl bis heute auch dabei. «Er ist immer viel am Mikrofon und wird immer irgendwas sagen», sagte Roger Federer in Melbourne, als McEnroe nach dessen Aus gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas von einer Wachablösung sprach. «Ich liebe John. Ich höre diese Geschichte seit zehn Jahren. So gesehen, nichts Neues», bemerkte der 37-jährige Federer.
Als Spieler trieb es der Gewinner von sieben Grand-Slam-Titeln oft zu weit. Bei den Australian Open wurde er 1990 wegen seiner ständigen Schimpferei disqualifiziert. Die ewigen Diskussionen mit Schieds- und Linienrichtern in Wimbledon über aufstaubende Kreide, Bälle im Feld oder im Aus konnten nervtötend sein. Der Ausspruch «Das kann nicht Ihr Ernst sein» («You cannot be serious»), ist bis heute McEnroes Markenzeichen und der Titel seiner Autobiografie.
Die Rolle als Bösewicht, der gern die Grenzen überschritt, füllte er besonders gut in Wimbledon aus, dem Hort der Fairness. 1980 siegte im Finale mit einem unvergessenen Tiebreak am Ende in Björn Borg noch das Gute. Ein Jahr später schaffte McEnroe mit seinem Linkshänder-Aufschlag und seinen Volleys die Revanche und gewann danach auch noch 1983 und 1984, ehe 1985 Becker triumphierte. Mit Michael Stich siegte McEnroe 1992 in London noch einmal in einem Marathon-Doppel, das erst montags beendet wurde. 72 Titel gewann er im Doppel, 77 im Einzel. 1984 verlor er nur drei von 85 Einzeln, darunter auf Sand knapp das French-Open-Finale gegen Ivan Lendl.
Ein bisschen bedauerte der fünffache Vater McEnroe, der nach der Scheidung von Schauspielerin Tatum O’Neal die Rocksängerin Patty Smith heiratete, dass ihm während seiner Karriere ein bisschen die Freude am Tennis und die Ernsthaftigkeit gefehlt hätten. Die hat er heute, meistens jedenfalls. Als die australischen Zuschauer während Federers verlorener Partie in Melbourne laut buhten, fragte McEnroe den ebenfalls kommentierenden Ex-Profi Todd Woodbridge: «Warum buhen die jetzt?» Woodbrige erklärte es ihm: «Das ist der Premierminister.»
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(dpa)