Paris – Als die australische Nationalhymne erklang, kämpfte Ashleigh Barty dann doch mit den Tränen. Sie bewegte ein bisschen die Lippen, sang ein paar Silben, gab den Versuch aber wieder auf.
Den Silberpokal «Coupe Suzanne Lenglen» der French-Open-Siegerin hielt die 23-Jährige aus dem Bundesstaat Queensland glückselig in den Händen.
«Lasst die Barty-Party beginnen. Es gibt vieles, worauf man das Glas heben kann», schrieb die Zeitung «The Age» nach dem 6:1, 6:3 gegen die 19 Jahre alte Tschechin Marketa Vondrousova und dem ersten Sieg einer australischen Tennisspielerin in Paris seit 46 Jahren. «Nach all den Jahren der Quälerei, dem Burnout, dem Karriere-Wechsel und dem Comeback kam der ultimative Triumph bemerkenswert schnell.»
Australiens Premierminister Scott Morrison gratulierte via Twitter zu einem «überwältigenden Sieg». Oppositionsführer Anthony Albanese sagte: «Sie ist nicht nur eine großartige Tennisspielerin, sie ist auch eine großartige Botschafterin für Australien. Gut gemacht, Ash.»
Eine Sensation war es nicht, was sich am Samstagnachmittag auf dem bedeutendsten roten Sandplatz der Welt ereignete. Barty war an Nummer acht gesetzt, sie wird in der neuen Branchen-Hierarchie auf Platz zwei klettern. Sie galt nach dem Kollektivscheitern all der anderen Top-Ten-Spielerinnen als Finalfavoritin. Sie wird für ihr elegantes und variables Spiel bewundert und von Experten hochgehandelt.
Und doch hätte zu Turnierbeginn vor zwei Wochen, geschweige denn zum Zeitpunkt ihres Comebacks vor drei Jahren, ein Wettschein ausgestellt auf den Namen Barty einen vielversprechenden Erlös gebracht. «Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich hier sitzen würde mit der Trophäe der French Open», sagte Barty. «Natürlich haben wir als Kinder Ziele und Träume, aber das hier ist einfach unglaublich.»
2011 hatte die nur 1,66 Meter große Athletin bei den Juniorinnen in Wimbledon den Titel geholt. Einen bei einer Tennisspielerin selten erlebten IQ bescheinigte ihr Landsfrau Samantha Stosur, 2011 bei den US Open letzte australische Gewinnerin eines Grand-Slam-Turniers. «Sie hat eine unglaubliche Gabe, das Spiel zu lesen», sagte Stosur.
Doch irgendwann wurde Barty der ganze Zirkus zu viel. Die ständigen Reisen, die Nächte im Hotel, die Distanz zu ihren Eltern und den älteren Schwestern Ali und Sara. Nach den US Open 2014 hörte Barty auf mit dem Tennis, sie war ausgebrannt. Sie zog wieder zu ihrer Familie nach Ipswich im Norden Australiens, ging fischen oder gab ein paar Trainerstunden. Schließlich schloss sie sich dem Kricket-Team der Brisbane Heat an – und profitierte auch dort von ihren kraftvollen Schlägen, dem Ballgefühl, der Spielintelligenz.
Zum Tennis zurück fand sie eher durch Zufall, weil ihre alte Doppelpartnerin Casey Dellacqua sie zu einem Turnier nach Sydney einlud und sie dort wieder Lust bekam auf den anderen Schläger. 2016 gab sie ihr Comeback auf der WTA-Tour, in der unbarmherzigen Weltrangliste wurde sie nicht mehr geführt.
Sie kämpfte sich von Platz 271 im Jahr 2017 zurück in die Top Ten – und jetzt nach ganz oben auf den Grand-Slam-Thron. «Das ist ein Teil meines Lebens, und es war damals die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Und es war noch besser, wieder zurückzukommen», erzählte Barty am Samstag.
Es gab an diesem Tag so viele Gründe für Barty, das Glas zu heben – eine ihrer Vorgängerinnen als French-Open-Siegerin übermittelte noch einen weiteren aus der Ferne. «Was für ein wunderbares Ergebnis für Australien», sagte Evonne Goolagong Cawley. «Und wie großartig, dass wieder ein Aborigine die French Open gewonnen hat.»
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(dpa)