Berlin – Elf Akteure auf jeder Seite, dazu zwei Tore, ein Ball – es kann losgehen. Und doch ist diesmal (fast) alles anders. Zuschauer Fehlanzeige. Ein Graus für manche, diese Geisterspiele.
«Ein leeres Stadion zu sehen, macht mich krank», bekundete jüngst die argentinische Trainer-Ikone César Luis Menotti: «Eine absolute Tristesse für die Hauptdarsteller, nicht nur für die Öffentlichkeit.» Ein Spiel ohne Zuschauer sei kein Fußballspiel, meint der französische Ex-Kicker Eric Cantona: «Es gibt keine Leidenschaft, es gibt nichts.»
Doch was ist wirklich so schlimm daran? Es geht immer noch um Tore, um Punkte, um Siege. Angst vor Spielunterbrechungen oder gar einem Abbruch wie in den Wochen vor der Corona-Krise, als Fan-Proteste die Bundesliga teilweise heftig getroffen hatten, braucht niemand zu haben, wenn keine Zuschauer im Stadion sind. Ausschreitungen oder Pyros – kann es nicht geben. Pfiffe gegen die eigene Mannschaft, der schwere Gang nach einer enttäuschenden Leistung in die Kurve voller wütender Fans – hat sich auch erledigt.
Geisterspiele im eigenen Stadion dürften insbesondere für Vereine, die eher im unteren Drittel der Tabelle stehen, leichter sein als für die Vereine, die oben stehen, vermutet Wissenschaftler Oliver Stoll, Professor für Sportpsychologie und Sportpädagogik an der Universität Halle-Wittenberg.
«Denn die Spieler der Vereine, die eher unten stehen, spüren vermutlich den Erwartungsdruck der eigenen Fans viel deutlicher als die Spieler der Top-Vereine. Und wenn grundsätzlich keine Zuschauer da wären, würden eher die unten stehenden Vereine profitieren.» Daten gebe es dazu keine, «das lässt sich aber eben plausibel erklären», sagte der 57-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Alfred Finnbogason will sich mit dem Tabellen-14. FC Augsburg gegen mögliche Nachteile stemmen. «Es trifft jeden gleich», sagte der 31 Jahre alte Isländer. «Wir müssen es jetzt alleine schaffen, die Klasse zu halten.» Was Geisterspiele auf dem Platz bedeuten, weiß Finnbogason. In der der Qualifikation für die WM 2018 hatte er mit Island in der Ukraine und in Kroatien vor leeren Rängen spielen müssen, nachdem die beiden Nationen wegen rassistischer Vorfälle der Fans bestraft worden waren.
Auch Trainer Markus Gisdol vom Tabellenzehnten 1. FC Köln hat Erfahrung mit der atmosphärischen Ausnahmesituation, nachdem er mit seiner Mannschaft vor dem Lockdown gegen Borussia Mönchengladbach ohne Zuschauer angetreten war. Die Zwangsruhe im Stadion birgt Gefahr. Für Spieler, für Trainer. Nicht nur die Ballberührungen können im Gesang der Anhänger nicht mehr untergehen, auch mögliche verbale Ausraster im Emotionsfeld sind nun hörbarer. Ebenso die taktischen Anweisungen der Trainer von der Seitenlinie aus. Gisdol: «Alles ist gläsern.»
Sein erster Reflex, als er die Anweisungen von der Gladbacher Bank klar vernahm: «Vorsicht, er hört dich auch.» Heißt: Die Trainer müssen ihre Spieler noch mehr in der Kabine vor dem Spiel und in der Pause instruieren. Und die Spieler sollten vorsichtig sein, was sie so sagen. «Ich bin da entspannt. Aber es sind einige andere dabei, die vielleicht etwas mehr kochen während des Spiels», sagte Torwart Lukas Hradecky von Bayer 04 Leverkusen.
Sollte die Bundesliga den Spielbetrieb mit Geisterspielen wieder aufnehmen, ist es ein Kompromiss, mit dem sich alle Beteiligten irgendwie arrangieren können – weil sie es müssen. Emre Can findet Partien ohne Zuschauer «ganz schlimm». «Aber da wir mit Corona wohl noch eine Zeit lang zu kämpfen haben, ist es besser, Geisterspiele zu haben als überhaupt keine Spiele», sagte der 26 Jahre alte Nationalspieler von Borussia Dortmund.
«Es fühlt sich zwar nicht richtig wie Bundesliga an», sagte Weltmeister Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach. «Ich habe aber gelernt: Nichts ist schlimmer, als gar nicht zu spielen. Von daher: Geisterspiele sehr, sehr gerne.»
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(dpa)