Singapur (dpa) – Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Geht es nach den Statistiken des Jahres, führt bei den WTA Finals kein Weg an Angelique Kerber vorbei. Die Nummer eins der Tennis-Damen hat am meisten Partien in dieser Saison gewonnen.
Sie hat sich in drei Grand-Slam-Endspiele gekämpft, 2016 als Einzige zweimal bei den wichtigsten Turnieren triumphiert. Und es würde so märchenhaft in Kerbers außergewöhnliche Geschichte passen, wenn sie ihren Status als Weltranglisten-Erste bestätigt und ihr Jahr mit ihrem dritten großen Titel krönt. Von Sonntag an spielt die Crème de la Crème der Branche in Singapur ihre Weltmeisterin aus. Die Kielerin ist Favoritin.
«Das gute Gefühl möchte ich mit ins Turnier nehmen und einen gebührenden Saisonabschluss hinlegen», sagte die 28-Jährige der Deutschen Presse-Agentur und schickte warnende Worte an ihre Konkurrentinnen hinterher: «Meine Motivation ist da, wo sie vor so einem Highlight sein sollte.»
Der erwartete Zweikampf mit der langjährigen Ausnahmekönnerin Serena Williams fällt beim traditionellen Stelldichein der acht besten Spielerinnen der Saison aus. Die Amerikanerin musste wegen einer Schulterblessur passen. Der Rückschlag für die Powerfrau nahm Kerber die Sorge, Platz eins in diesem Jahr noch zu verlieren.
«Sie wird damit für eine absolute Top-Saison belohnt. So ist sie vielleicht noch entspannter», erklärte Fed-Cup-Teamchefin Barbara Rittner. Für das mit sieben Millionen Dollar dotierte Event sieht die Bundestrainerin ihren Schützling allerdings nicht als klare Favoritin. «Sie ist müde. Was jetzt noch kommt, ist absoluter Bonus.»
Dreimal war Kerber bei den WTA Finals schon dabei. 2012, 2013 und 2015 endeten ihre Auftritte jeweils nach der Gruppenphase. Dennoch verbindet Kerber etwas ganz Besonderes mit der inoffiziellen WM.
Vor zwölf Monaten nahm für die früher oft mental schwächelnde Schleswig-Holsteinerin in Singapur alles ihren Anfang. Eine bittere Pleite war der Ursprung für ihren Wandel zum abgezockten Tennis-Star. Und der von Kerber oft erzählte Ausgangspunkt für ihren Coup bei den Australian Open, für ihren Triumph bei den US Open, für ihren Sprung zur Nummer eins. Für den Finaleinzug in Wimbledon und Olympia-Silber.
Gegen die Tschechin Lucie Safarova hatte Kerber damals nur einen Satzgewinn benötigt, um unter die besten Vier einzuziehen – doch sie scheiterte. Nie wieder werde ihr der Druck im Wege stehen, schwor sie sich anschließend. Sie nahm sich vor, bei den vier Majors besser zu spielen und setzte ihre Ziele prompt eindrucksvoll um.
Nun findet sich die Linkshänderin auf dem Platz langsam in die Rolle als Gejagte ein, gegen die die Kontrahentinnen immer einen Extrakick Motivation verspüren. Auf der Asien-Tour der vergangenen Wochen drang die Linkshänderin nie bis in die entscheidende Turnierphase vor. Sie plagte sich mit Problemen am Oberschenkel und an der Schulter. Die Müdigkeit erschöpfender Tennis-Monate machten sich bemerkbar.
«Mein Ziel ist es jetzt, für die WTA Finals die letzten Kräfte zu mobilisieren und nochmal alles zu geben», sagte Kerber. «Bisher ist es ohne Frage die beste Saison meiner Karriere, mit so vielen Emotionen und Erinnerungen, die ich niemals vergessen werde.»
An die mögliche historische Dimension ihrer vierten WM-Teilnahme verschwendet die zweifache Grand-Slam-Siegerin keine Gedanken. Sie weiß, dass die Erwartungen hoch sind. Die letzte deutsche Gewinnerin hieß 1996 Steffi Graf. Fünf Partien trennen Kerber nun noch davon, einmal mehr in die Fußstapfen der Sportikone zu treten und den dritten großen Titel in diesem Jahr zu feiern. In jedem Fall wartet nach dem letzten Auftritt in Singapur der verdiente Urlaub.
Fotocredits: Wu Hong