Melbourne – Den frühen K.o. seines ehemaligen Spielers Novak Djokovic kommentierte er ohne jegliche Häme oder Schadenfreude. Das Achtelfinal-Aus von Angelique Kerber analysierte er sachlich und treffend.
Beim Viertelfinal-Scheitern des letzten deutschen Tennisprofis bei den Australian Open leistete er sich auch mal einen emotionalen Ausbruch. «Ah, Mischa» und «Du musst nicht draufhauen wie Herkules», entfuhr es Boris Becker am Mikrofon des TV-Senders Eurosport bei der Niederlage von Mischa Zverev gegen Roger Federer.
Nach dem Ausscheiden des 29 Jahre alten Hamburgers sind die deutschen Namen aus den Tableaus des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres verschwunden. Ein Profi aber darf in Melbourne bleiben und seinem (neuen) Job weiterhin nachgehen. Und schon vor der finalen Turnierphase mit Federer, Rafael Nadal, Serena Williams & Co. zählt Deutschlands Tennis-Legende Becker eindeutig zu den Gewinnern des Turniers.
Wenige Wochen nach seiner von reichlich Getöse begleiteten Trennung von Djokovic überzeugt Becker in diesen Tagen Fachleute und Fans als Kommentator und rasender Reporter im Dauereinsatz. «Es gab Zeiten, da musste man befürchten, Boris Becker im Januar im australischen Dschungel(camp) suchen zu müssen», spottete der Branchendienst «Meedia» nach Beckers TV-Premiere in Melbourne – und verbreitete dann wahre Lobeshymnen aus den sozialen Netzwerken auf den dreimaligen Wimbledonsieger und Australian-Open-Champion von 1991 und 1996.
Tatsächlich füllt Becker in seinem 50. Lebensjahr wieder einmal eine Rolle besser aus, als ihm das viele kritische Geister vorher zugetraut hätten. Schon sein Trainer-Engagement beim serbischen Superstar Djokovic war anfangs mit reichlich Skepsis beäugt worden. Doch in den gemeinsamen drei Jahren feierte das ungleiche Duo sechs Grand-Slam-Titel, Djokovic wurde die Nummer eins der Welt.
Nach der Trennung Anfang Dezember war von Becker lediglich der Kommentar zu hören, Djokovic habe zuletzt zu wenig trainiert. Als der Titelverteidiger jetzt in Australien sensationell schon in der zweiten Runde gegen den Usbeken Denis Istomin ausschied, verzichtete Becker auf das Ausplaudern von sicher noch vorhandenen Interna und ein öffentliches Sich-selbst-Wichtigmachen vor dem Fernsehpublikum.
In seiner Wahlheimat Großbritannien ist Becker bereits seit 2003 während der Wimbledon-Wochen ein geachteter und hoch angesehener TV-Experte für die BBC. Nun scheint er auch mit dem blauen Eurosport-Mikrofon, das er stets direkt unter dem Korb am Ende des Griffes fest umschließt, und den Formaten «Matchball Becker» oder «Beckers Beste» das argwöhnische deutsche Publikum überzeugt zu haben.
Die Zeiten öffentlicher Fehltritte wie in einer TV-Show mit der viel zitierten Fliegenklatsche am Kopf oder unschönen Schlagzeilen über das Privatleben scheinen endgültig passé. «Die Boris Becker Wandlung – sie geht weiter», kommentierte das Fachblatt «Tennismagazin».
Nach dem Djokovic-Aus stand Becker im roten Polo-Shirt und grauer Trainingsjacke umringt von einer Traube Fans im Melbourne Park und wurde in diesem Moment häufiger fotografiert als mancher Spieler während des ganzen Turniers. Beim Viertelfinale zwischen Mischa Zverev und Federer gab Becker in schwarzer Lederjacke mal den fachlichen Analysten («Er hat jetzt Erfolg mit dem Aufschlag auf den Körper von Federer.»), mal den Plauderer aus der Vergangenheit («Auch wir sind früher ins Kältebad gegangen. Vieles, was in den Achtziger- und Neunzigerjahren passiert ist, war nicht so schlecht.»).
Natürlich schafft es auch Reporter Becker nicht ganz ohne Phrasen («Am Ende wird abgerechnet. Weihnachten ist vorbei. Bitte jetzt keine Geschenke mehr.»), doch insgesamt hat der 49-Jährige die Eurosport-Premiere an der Seite von Moderator Matthias Stach zu seinem Vorteil genutzt. Profis wie Kerber oder Top-Talent Alexander Zverev zeigten sich offen und gesprächig im Dialog mit Becker.
Und als Becker nach Kerbers glücklichem Erstrunden-Sieg gegen Lessia Zurenko aus der Ukraine dem Moderator in einem Punkt widersprach, scherzte dieser: «Du hast ja recht, du bist ja auch vom Fach.»
Fotocredits: Jörg Carstensen
(dpa)