Dortmund – Die Gelbe Wand blieb diesmal grau – und doch wollten die BVB-Profis partout nicht auf ihr Ritual verzichten.
Als wäre das Stadion voller Zuschauer, die beim 4:0 (2:0) über den FC Schalke den höchsten Derbysieg ihres Teams seit 54 Jahren bejubeln, reihten sie sich vor der leeren Südtribüne auf und feierten den meisterlichen Auftritt mit La Ola.
«Was gibt es Schöneres, als mit so einem Sieg wieder in die Saison einzusteigen», schwärmte Julian Brandt, der die ungewöhnliche Jubelgeste seiner Mitstreiter jedoch als einziger aus der Ferne bestaunte. «Man ist ja erfinderisch, wenn man gewinnt», kommentierte der abgekämpfte Nationalspieler mit hochrotem Kopf.
Nach zehnwöchiger Corona-Pause lieferte die Borussia den Beweis, dass ein Fußballspiel auch unter fast klinischen Bedingungen leidenschaftlich und unterhaltsam sein kann. Als Zündfunke wirkte dabei das diszipliniert bejubelte 1:0 von Erling Haaland in der 29. Minute – das erste Tor der Bundesliga nach der Zwangs-Auszeit. Danach vertrieb der Tabellenzweite mit erstaunlicher Finesse und Spielfreude im ersten Geisterderby der Geschichte den Schalke-Komplex, unter dem er in den vergangenen acht Spielen gegen den Erzrivalen mit nur einem Sieg zumeist gelitten hatte.
Selbst der ansonsten eher zurückhaltende Trainer Lucien Favre wirkte euphorisch: «Wir sollten und wollten unbedingt gewinnen – für unsere Fans. Sie sitzen zuhause vor dem Fernseher. Vier Tore für uns, null Tore kassiert – das ist perfekt.»
Dabei schien die Ausgangslage alles andere als optimal. Als wären die Ausfälle der Stammkräfte Marco Reus, Axel Witsel, Emre Can und Dan-Axel Zagadou nicht Handicap genug, verletzte sich der eigentlich für die Startelf vorgesehene Giovanni Reyna beim Aufwärmen. Zudem saß Shooting-Star Jadon Sancho bis kurz vor dem Spielende nur auf der Bank, weil es ihm nach einer Muskelblessur noch an Fitness mangelte.
Dass der BVB dennoch groß aufspielte, befreite Sportdirektor Michael Zorc von schwerer Last: «Wir waren alle nach dem Spiel sehr erleichtert. Wir wussten ja nicht, wo wir stehen nach dieser langen Pause. Ich kann der Mannschaft nur ein Kompliment machen, dass sie das hervorragend umgesetzt hat.»
Mit den weiteren Toren von Raphael Guerreiro (44./63.) und Thorgan Hazard (48.) sammelten die Dortmunder Mut für den Liga-Gipfel im kommenden Heimspiel am 26. Mai gegen Spitzenreiter FC Bayern. Entgegen aller Prognosen gelang es ihnen deutlich besser, sich mit den Bedingungen eines Geisterspiels zu arrangieren als den seit acht Spielen sieglosen Schalkern. «Wir haben viele Gespräche geführt und wussten, dass es eigentlich nichts anderes ist als das Spiel, was wir früher als Kinder gespielt haben: Ohne Zuschauer und einfach Spaß haben», kommentierte BVB-Torhüter Roman Bürki, «das Resultat macht nun auch die Leute vorm Fernseher glücklich.»
Brandt fand noch eine andere Erklärung für den erfolgreichen Re-Start der Borussia. «Wir hatten einen kleinen Vorteil, wir haben das in Paris schon mal erlebt. Wir kennen diese Stille im Stadion», sagte er mit Verweis auf das Achtelfinal-Aus bei Paris Saint-Germain (0:2) im letzten Spiel vor der Corona-Pause Mitte März, als das Team in der Partie ohne Zuschauer nur halbherzig Gegenwehr geleistet hatte.
Nicht nur der Sieg über Schalke sorgte für Entspannung, sondern auch das besonnene Verhalten der für ihre gegenseitige Abneigung bekannten Fans. Die Befürchtungen der Polizei, dass es zu Ansammlungen rund um das Stadion und womöglich zu Auseinandersetzungen kommen könnte, erwiesen sich als unbegründet. Auch in den Kneipen der Stadt wie dem «Schmackes», das Ex-BVB-Profi Kevin Großkreutz gehört, hielten sich die Besucher an die Corona-Regeln. Bei den Toren jubelte jeder Besucher für sich allein. Das trübte die Freude von Gast Nadine Hopf über den Kantersieg ein wenig: «Normalerweise hätte ich mich um diese Zeit im Stadion längst heiser geschrien.»
Ganz ähnlich sah es BVB-Nationalspieler Brandt im unweit entfernten Signal Iduna Park: «Ein Derbysieg ist immer in gewisser Art und Weise ein Festtag. Aber man möchte ihn gern mit vielen Menschen feiern.»
Fotocredits: Martin Meissner
(dpa)