London – Novak Djokovic galt als unantastbar. Als der serbische Tennis-Star im Juni 2016 bei den French Open triumphierte, hielt er jahresübergreifend alle vier Grand-Slam-Titel in seinem Besitz. Der damalige Schützling von Boris Becker war die Konstanz in Person.
Djokovic selbst und etliche seiner Kollegen trauten ihm zu, alle vier Grand Slams in einem Jahr zu holen, gar der Golden Slam mit Olympia schien möglich. Es kam anders. Der Coup in Paris war sein letzter Triumph, eine sportliche Talfahrt mit Verletzungsproblemen, Zweifeln, Trainer-Rochaden und wenig Motivation begann.
Nun in Wimbledon präsentiert sich Djokovic mit frischem Elan so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr. «Es fühlt sich so an, als ob ich zum richtigen Zeitpunkt an meinem Zenit bin», sagte der frühere Weltranglisten-Erste, nachdem er mit dem 6:3, 3:6, 6:2, 6:2 über den Japaner Kei Nishikori erstmals seit den US Open 2016 wieder ins Halbfinale eines der vier wichtigsten Turniere eingezogen war.
Eineinhalb Wochen lang galt Djokovic beim Rasenklassiker in London wenig Aufmerksamkeit. Beinahe alles drehte sich um den Top-Favoriten Roger Federer und French-Open-Champion Rafael Nadal. Und darum, ob es wieder ein Finale geben kann wie vor zehn Jahren, als Nadal Federer im fünften Satz mit 9:7 niederrang. Nachdem es im Herren-Viertelfinale den achtmaligen Wimbledon-Sieger Federer erwischte und es auch bei den Damen ein Favoriten-Scheitern gab, rückt Djokovic mehr in den Fokus.
Viel spricht dafür, dass sich Djokovic und der Spanier Nadal im Halbfinale am Freitag ein vorweggenommenes Endspiel liefern. Im zweiten Duell stehen sich der Südafrikaner Kevin Anderson und der US-Profi John Isner gegenüber, beide wären am Sonntag Außenseiter. «Ich denke nicht wirklich darüber nach, ob ich ein Außenseiter oder ein Favorit bin. Ich will auf dem Momentum aufbauen», sagte der 31-jährige Djokovic.
Djokovic gegen Nadal ist ein ewiges Duell, 51 Mal standen sich die beiden schon gegenüber, deutlich öfter noch als Nadal und Federer (38). 25 Mal siegte Nadal, 26 Mal Djokovic. In Wimbledon kreuzten sich ihre Wege zuletzt vor sieben Jahren, als der Serbe seinen ersten von inzwischen drei Titeln auf dem Heiligen Rasen feierte.
«Es ist ein großes Ding», sagte Nadal über das bevorstehende Halbfinale. «Wir haben immer auf den wichtigen Bühnen gegeneinander gespielt. Er spielt gut.» Anders als Federer hatte Nadal seinen ersten wahren Prüfstein in dieser Wimbledon-Auflage in einem mitreißenden und hochklassigen Viertelfinale über fünf Sätze und 4:48 Stunden gegen den Argentinier Juan Martin del Potro überstanden.
Der Weg von Djokovic ist voller Wendungen. Im zweiten Halbjahr 2017 hatte sich der zwölfmalige Grand-Slam-Sieger eine Tennis-Auszeit genommen, er wollte seine Ellbogen-Verletzung auskurieren. Zu Beginn dieser Saison kehrte er zurück. Die Probleme waren aber nicht behoben, er ließ sich doch noch operieren. Und er versuchte in der Zwischenzeit auch andere Wege.
Das Experiment mit dem früheren Tennis-Star Andre Agassi in seinem Betreuerteam war jedoch schnell wieder vorbei. Fragen kamen auf, ob Djokovic noch einmal ein ernsthafter Kandidat für weitere Grand-Slam-Titel sein kann. Mit dem Schritt zurück zum slowakischen Trainer Marian Vajda, ein jahrelanger Wegbegleiter, geht es momentan wieder voran. «Ich denke, mein Tennis-Level ist wieder ziemlich nah dran», sagte er zu seinem Niveau verglichen mit seinen besten Zeiten.
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(dpa)