London – Clemens Prokop ist seit 16 Jahren Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und hört im November auf. «Ich kann diese Zeit als erfolgreich bezeichnen», sagte der 60-jährige Funktionär im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Das deutsche Team ist im Umbruch. Im WM-Aufgebot sind junge Athleten wie Dreispringer Max Heß, die Mittelstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen oder Sprinterin Gina Lückenkemper. Was ist vom Nachwuchs schon zu erwarten?
Clemens Prokop: Wir haben eine ganze Reihe von Athleten, die an der Schwelle zur Weltspitze stehen. Im Normalfall werden sie den Leistungshöhepunkt bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio sein. Sie haben aber die Chance, schon in London mitzumischen.
Bei der WM 2015 in Peking gab es für den DLV acht Medaillen, bei den Rio-Spielen 2016 nur drei. War das nur ein Ausrutscher?
Prokop: Die sportliche Leistung kann man nicht nur an Medaillen bemessen. Der eigentliche Maßstab sind die persönliche Bestleistungen. In Rio war die Leistungsentwicklung nicht optimal. Wir werden in London wieder besser abschneiden, aber eine Medaillenprognose gebe ich prinzipiell nicht ab.
Der Deutsche Olympische Sportbund hat eine Reform des Spitzensports initiiert: Ziel sind mehr Medaillen!
Prokop: Das ändert nichts daran, dass ich dem sehr kritisch gegenüber stehe. Die die Bewertung sportlicher Leistung an der Zahl der Medaillen auszurichten, wird den Athleten nicht gerecht.
Ist es denn falsch, viele Medaillen gewinnen zu wollen?
Prokop: Das wäre die falsche Interpretation. Natürlich streben wir logischerweise an, möglichst viele Medaillen und möglichst viel goldene zu holen. Ich wehre mich nur, die Medaille als alleinigen Maßstab für Leistung zu nehmen.
Wer sind die großen Hoffnungsträger im deutschen WM-Team?
Prokop: Wir hoffen stark auf die drei Speerwerfer Thomas Röhler, Johannes Vetter und Andreas Hofmann, die die Weltrangliste anführen und sich gegenseitig nach vorne pushen.
Die deutschen Speerwerfer dominieren auf der Welt. Röhler (93,90 Meter) und Vetter (94,44) verbesserten nacheinander den deutschen Rekord. Was ist das Geheimnis dieses Aufschwungs?
Prokop: Da kommen eine Vielzahl von Komponenten zusammen: Talent, versierte Trainer und ein Konkurrenzdruck im eigenen Lager, der die Leistung nach oben treibt.
Hat das deutsche Trio das Potenzial, alle Medaillen zu holen?
Prokop: Es wäre ein Tag von geschichtlicher Bedeutung. Doch die deutschen Speerwerfer kämpfen nicht allein. Deshalb wäre es zu früh, das Ergebnis des Wettkampfes schon vorher festzuschreiben. Die sind momentan die herausragende Botschafter der deutschen Leichtathletik. Wir sind froh und stolz sie zu haben.
Trauen sie einem aus dem Trio zu, den Weltrekord von 98,48 Metern des Tschechen Jan Zelezny zu übertreffen? Und wäre es überhaupt wünschenswert?
Prokop: Ich bin bei der Bewertung von Leistungen durch Rekorde vorsichtig. Grundsätzlich, kann ich mir schon vorstellen, dass einer der deutschen Werfer den Jahrhundertrekord angreifen kann.
Auch wegen des Dopingproblems: Es soll neue Europa- und Weltrekordlisten geben.
Prokop: Es ist wichtig, die alten Rekordlisten zu überarbeiten, wobei es nicht darum geht, sie zu löschen. Vielmehr sollen bestehende Rekorde in Altzeitrekordlisten fortgeführt und neue Listen zusätzlich eingeführt werden. Damit soll den neuen Rahmenbedingungen Rechnung getragen und ein Höchstmaß an Sicherheit gewonnen werden, dass Rekorde nicht mit Dopingmittel erreicht wurden. Die Rekorde sollen nur anerkannt werden, wenn eine bestimmte Anzahl von Kontrollen davor stattgefunden haben.
Sprint-Superstar Usain Bolt beendete nach der WM seine Karriere. Wie hat er die Leichtathletik geprägt, was verliert sie?
Prokop: Er war sicher ein Jahrhunderttalent und hat auch durch die Art und Weise der Präsentation seiner sportlichen Leistung viel für die Popularität der Leichtathletik getan – auch in Zuschauerkreisen hinein, die nicht primär mit der Leichtathletik zu tun haben. Bolt war für die Sportart ein großer Gewinn. Was bleibt, ist die Diskussion, wie die Leistungen zustande gekommen sind. Seine Einlassungen, dass er die Leistungen sauber erbringt, er regelmäßig kontrolliert wird und nichts gefunden wurde, sind unwiderlegbar.
Nächstes Jahr ist Berlin Gastgeber der EM. Was für eine Bedeutung hat sie für die zukünftige deutsche Leichtathletik?
Prokop: Eine internationale Meisterschaft in Europa und im eigenen Land hat für die Athleten eine große Motivation und Nachhaltigkeit, wie der Aufschwung nach der WM 2009 in Berlin gezeigt hat. Das erhoffen wir uns auch von der EM. Und wir versprechen uns durch die starke mediale Wirkung, die Leichtathletik nach vorne zu pushen.
Es soll also mehr als nur ein Märchen für ein Sommer werden?
Prokop: Es soll ein Fest der europäischen Leichtathletik werden und eine Würdigung der europäischen Ideale gerade in einer Zeit, in der nationale Tendenzen immer stärker werden. Deshalb sind solche Veranstaltungen, die sich gezielt der Einheit der Europäer widmen, von großer Bedeutung. Wir wollen das auch als politisches Thema aufgreifen und ganz gezielt über den Sport hinaus die Werte Europas in allen Bereichen zelebrieren.
Es ist Ihre letzte WM als Präsident? Wie lautet Ihre Bilanz?
Prokop: Ich blicke zufrieden zurück. Nach schwierigen Jahren und heftigen Diskussion zu Anfang meiner Präsidentschaft, haben wir den Leistungssport neu strukturiert. Wir haben konsequent auf die Zentralisierung gesetzt und einen Leistungsaufschwung erlebt, den Deutschland wieder in den Kreis der Weltspitze zurückgebracht hat. Auch was die sportpolitische Bedeutung der Leichtathletik national und international betrifft, ist es gelungen, unseren Positionen und Ideen eine wahrnehmbare Geltung zu verschaffen. Ich kann deshalb diese Zeit als erfolgreich bezeichnen.
ZUR PERSON: Der Jurist Clemens Prokop (60) ist seit 2001 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Im November diese Jahres gibt er sein Amt auf, wird aber als Präsident des Organisationskomitees der EM 2018 in Berlin der Leichtathletik verbunden bleiben.
Fotocredits: Rainer Jensen
(dpa)