Melbourne – In der Umkleidekabine klopfte ihm Roger Federer tröstend auf die Schulter und sprach ein paar aufbauende Worte, doch das unerwartet frühe Australian-Open-Scheitern wird Alexander Zverev noch eine Weile beschäftigen.
«Ich muss herausfinden, was mit mir in den entscheidenden Momenten bei den Grand Slams passiert. Es ist in Wimbledon passiert, es ist in New York passiert, es ist hier passiert», sagte Zverev nach dem 7:5, 6:7 (3:7), 6:2, 3:6, 0:6 gegen den Südkoreaner Chung Hyeon – und lieferte einen Teil der Antwort gleich mit: «Grand Slams bedeuten mir noch zu viel. Einige erwarten, dass ich ins Halbfinale oder Finale komme. Das merkt man schon.»
Anstatt allerdings frustriert in den erstbesten Flieger Richtung Heimat zu steigen, steht für den mit Abstand jüngsten Tennisprofi aus den Top Ten schon die nächste Herausforderung an. Anfang Februar kämpft die deutsche Davis-Cup-Auswahl im australischen Brisbane um den Einzug in das Viertelfinale – und auch dann werden Druck und Erwartungshaltung wieder (fast) nur auf dem 20-Jährigen lasten.
Im Lauf der Woche will Zverev zum Nationalteam stoßen, das sich in der KDV Sport Academy an der Gold Coast auf das Duell mit Nick Kyrgios & Co. vorbereitet. Er werde im Davis Cup spielen, versicherte der Hamburger am Samstagabend in den Katakomben des Melbourne Parks trotz seines nicht einkalkulierten Abschieds in der dritten Runde.
Als Nummer vier der Welt war der vielversprechendste deutsche Profi seit Boris Becker zum ersten der vier großen Turniere gereist, spekuliert wurde bereits über seine Chancen in einem möglichen Achtelfinale gegen den sechsmaligen Turniersieger Novak Djokovic.
Fünf Titel gewann Zverev 2017, nur Rafael Nadal (6) und Federer (7) holten mehr. Bei zwei Masters-Turnieren, der Kategorie direkt unter den Grand Slams, sicherte er sich Siegerpokal und -scheck. Doch immer, wenn es auf die bedeutendsten Anlagen seiner Sportart geht, läuft irgendetwas schief. Nur im vergangenen Jahr in Wimbledon schaffte er es in ein Achtelfinale. Weder in Melbourne noch in Paris, Wimbledon oder New York schlug Zverev bislang einen Top-50-Spieler.
«Man muss ihm Zeit geben, er ist wie ein Stern in die Weltspitze geflogen, jetzt muss er sich konsolidieren. Es ist halt alles nicht so einfach», sagte Boris Becker im TV-Sender Eurosport. Es sei kein körperliches Problem, sagte Zverev. Eher schon ein mentales.
«Ich habe ihm gesagt: „Sei geduldig, setz dich nicht unnötig zu sehr unter Druck. Lern aus diesen Fehlern. Du musst an den Prozess, in dem du dich befindest, glauben. Noch zahlt es sich bei den Grand Slams nicht aus, aber bleib ruhig.“», erzählte Federer über die abendliche Begegnung in der Garderobe. Der 36 Jahre alte Schweizer traut Zverev Großes zu, für Zverev ist Federer Mentor, Ratgeber und Freund.
Der mittlerweile 19-malige Grand-Slam-Champion war fast 22, als er 2003 in Wimbledon triumphierte. «Ich bin 20 und habe noch Zeit», sagte Zverev, der bei seinem Drittrunden-Aus gegen Chung Hyeon stark begann, sich dann über das fehlende Licht in der Rod-Laver-Arena beschwerte, einen Schläger zertrümmerte und im fünften Satz noch genau fünf Punkte machte. «Man hat das Gefühl, bei Zverev gibt es derzeit nur ein A-Spiel, kein B und kein C. Irgendwann stellt sich der Gegner darauf ein», analysierte Becker, der als Head of Men’s Tennis auch in Brisbane beim Davis Cup dabei sein wird.
Zverev wollte über das Gespräch mit Federer nicht viel sagen, gab aber zu, dass ihm die Worte geholfen hätten. Eines aber schloss er an diesem Abend aus: «Ich werde mich jetzt sicher nicht betrinken.»
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(dpa)