München (dpa) – Der FC Bayern hat sich sein neues Nachwuchsleistungszentrum rund 70 Millionen Euro kosten lassen. Das Ziel ist es, aus der Hochbegabtenschmiede FC Bayern Campus auch wieder Leistungsträger für die Profis zu finden.
Der Weg von Weltmeister Thomas Müller oder David Alaba ist große Motivation für die Stars von Morgen. Campus-Leiter Jochen Sauer spricht im Interview der Deutschen Presse-Agentur über den Talentemarkt, die Entwicklung des Jugendfußballs und die Auswirkungen von Weltstars in der Nähe.
Frage: Uli Hoeneß hat den Campus schon als Antwort auf den Transferwahnsinn gerühmt. Wie klingt das für Sie?
Antwort: Natürlich haben wir das große Ziel, immer wieder Spieler aus der Nachwuchsabteilung zu den Profis durchzubringen. Dabei spielt auch die Infrastruktur eine sehr große Rolle. Mit dem FC Bayern Campus sind wir wieder konkurrenzfähig, wenn es um die Verpflichtung der talentiertesten Spieler geht. Das ist die Basis, um in den nächsten Jahren hoffentlich immer wieder Spieler zu Profis zu machen. Wenn man oben einen anbieten kann und der Spieler im Kader ist, dann muss die Profiabteilung den Platz nicht extern besetzen und kann sich Investitionen sparen. Das Ziel haben wir.
Frage: Wo steht der FC Bayern mit diesem Campus national und international?
Antwort: Der FC Bayern steht alleine schon mit seinem Namen und den sportlichen Erfolgen ganz oben in Deutschland. Was die Rahmenbedingungen angeht, stehen wir jetzt sicherlich auf einer Stufe mit den führenden NLZ in Deutschland. Wir haben aber die Zielsetzung, uns klar an die Spitze zu setzen. Im Internationalen Vergleich ist es immer schwierig zu beurteilen, weil die Bedingungen im Nachwuchsbereich unterschiedlich sind. Wir wollen uns auch international dahin entwickeln, dass wir uns wie die Profimannschaft zu den Top5 in Europa zählen können.
Frage: Wie schwierig ist es, die Balance zu halten zwischen Erfolg für die Jugendmannschaft und dem Hauptziel, einen Spieler zu den Profis zu bringen?
Antwort: Es muss beides möglich sein, aber der Fokus liegt ganz klar auf der Entwicklung der Einzelspieler. Wir haben uns das gemeinsame Ziel gesetzt, Profis für den FC Bayern München auszubilden. Wenn die Spieler als Einzelspieler besser werden, dann wird am Ende auch der Mannschaftserfolg da sein. Die Spieler sollen die Bayern-München-Mentalität lernen und für sich spüren. Beim Mia-san-Mia von Bayern München geht es auch immer darum, Titel zu gewinnen. Deswegen wäre es auch völlig verkehrt, den Jungs jeden Tag zu erzählen, ihr müsst Euch individuell weiterentwickeln und der Tabellenplatz ist unerheblich. Du musst auch die Siegermentalität verinnerlichen.
Frage: Welchen Einfluss hat der Faktor von Weltstars in der Nähe?
Antwort: Für die meisten Spieler ist es eine klare Motivation. Auf der anderen Seite muss man auch immer aufpassen, dass sich die Spieler keinen zu großen Druck machen. Bei den Profis mitzutrainieren ist ein wahnsinniges Erlebnis. Wie es da zur Sache geht, darauf muss man die Jungs perfekt drauf vorbereiten, damit die Enttäuschung nicht zu groß wird, wenn man nicht gleich mithalten kann. Von unserem Campus aus sieht man die Allianz Arena, in der die Superstars spielen. Wenn das Ziel der Träume nicht so weit weg ist, dann ist das sicher noch einmal mehr Ansporn.
Frage: Was sind die drei wichtigsten Attribute für einen Nachwuchsspieler beim FC Bayern, damit er Profi werden kann.
Antwort: Das auf drei Attribute zu reduzieren, ist schwierig. Es gehört sehr viel dazu. Professionalität, Disziplin mit sich selbst und seinem Körper, Siegermentalität in Spiel und Training. Das hatten auch große Bayern-Spieler wie Philipp Lahm, Oliver Kahn oder Bastian Schweinsteiger immer intus. Am Ende müssen die Talente aber fußballerisch einfach gut und athletisch auf einem Toplevel sein. Bei den Profis kämpfen dort 20 Weltklassespieler um die elf Startplätze. Wenn man die athletischen Voraussetzungen nicht mitbringt, wird es einfach schwer.
Frage: Wie hat sich der Jugendfußball im letzten Jahrzehnt entwickelt?
Antwort: Die Entwicklungszeit ist kürzer geworden. Vor 10, 15 Jahren war ein 21-Jähriger bei den Profis immer noch ein sehr, sehr junger Spieler. Heute gehört ein 21-Jähriger in einer Profimannschaft oft schon zu den etablierten Spielern. Heute ist man mit 16 oder 17 ein junger Spieler bei den Profis. Die Talente müssen die Entwicklungsschritte jetzt über einen kürzeren Zeitraum machen. Die Quote derer, die am Ende in der Bundesliga spielen, ist aber nicht größer oder kleiner als vor zehn Jahren.
Frage: Die Jagd nach immer jüngeren Talenten hat zugenommen. Gibt es da eine Schmerzgrenze?
Antwort: Auch hier hat sich die Themenstellung nicht geändert. Wenn ich einen Spieler hole, muss ich immer überlegen: Wie alt ist der Spieler? Macht der Wechsel jetzt schon Sinn? Tut es ihm gut, wenn ich ihn aus seinem Umfeld reiße? Wie sieht es schulisch aus? Was spricht dafür und was dagegen? Heute ist man da ein, zwei Jahre früher dran. Der Abwägungsprozess bei einem 14-jährigen muss man dann noch intensiver und pflichtbewusster durchgeführt werden.
Frage: Wie sehr beschleunigt das Mehr an Geld im Fußball den Nachwuchsmarkt?
Antwort: Wenn man sieht, was in England ein Zweit- oder Drittligist an Geld ausgibt, dann tut sich ein kleinerer Bundesligist in Deutschland schon schwer. Für viele ist dann die Schlussfolgerung, wenn wir uns einen Spieler mit 21 im Profibereich nicht mehr leisten können, müssen wir schauen, dass wir die Spieler selbst ausbilden. Der Markt im Nachwuchsbereich hat sich schon ein bisschen verändert, weil viele diese Konzentration auf den Nachwuchs noch mehr entdeckt haben. Wenn sich auf dem Transfermarkt im Profibereich die Preise nach oben entwickeln, ist es relativ wahrscheinlich, dass es auch eine Sogwirkung für den Nachwuchsbereich hat.
Frage: Gibt es eine Schmerzgrenze bei den Kosten für die Verpflichtung eines Talents?
Antwort: Wir haben uns über Schmerzgrenzen innerhalb des Clubs noch nie wirklich unterhalten, weil eine pauschale Aussage einfach nicht möglich ist. Es hängt immer vom Einzelfall ab. Welche Entwicklungschancen hat der Spieler, wo kann er landen? Dann fangen wir an darüber zu reden, was könnte der Spieler Wert sein bzw. was muss ich für einen vergleichbaren Spieler bezahlen. Das sind immer Einzelfallbetrachtungen, bei denen man nicht pauschal sagen kann, das ist das Maximum was ich für einen 15- oder 16-Jährigen ausgeben kann. Es ist nicht möglich, da eine allgemeine Definition festzulegen.
Frage: Es gibt immer den Vorwurf, die großen Clubs holen kleinen Vereinen die Spieler weg. Was entgegnet man da?
Antwort: Das ist der Markt. Es gibt immer Spieler, die sich verändern wollen. Dass der Weg normalerweise eher vom kleineren Verein zum größeren ist, ist relativ normal. Jeder Fußballer will sich ja weiterentwickeln. Darauf stellen sich NLZ von kleineren Vereinen ein. Sie sind auch nicht immer verärgert, sondern einige sind auch stolz, wenn ein Spieler zu einem großen Verein geht. Durch die Ausbildungsentschädigungssysteme profitieren sie ja auch wirtschaftlich davon.
Frage: Wo steht der deutsche Nachwuchsfußball insgesamt?
Antwort: Er ist immer noch auf einem hervorragenden Niveau. Die Juniorenmannschaften sind auf hohem Niveau in Europa wettbewerbsfähig. In der Nationalmannschaft sind viele junge Nationalspieler, die wie beim Confed Cup auf höchstem Niveau mithalten können. Aber wir müssen aufpassen, dass wir uns darauf nicht ausruhen. Die Bundesligisten scheiden aktuell zu früh in der Europa League aus, in den K.o.-Spielen der UEFA-Wettbewerbe sind zu wenige deutsche Mannschaften dabei gewesen. Da müssen wir aufpassen. Wenn man sich nicht weiterentwickelt, kommen andere Nationen von links und rechts und überholen einen. Wir müssen immer dranbleiben.
ZUR PERSON: Jochen Sauer (45) ist Leiter des Nachwuchsleistungszentrum des FC Bayern München. Der ehemalige Geschäftsführer von Red Bull Salzburg leitet den FC Bayern Campus. Rund 70 Millionen Euro ließ sich der deutsche Meister das vor einem Jahr eröffnete Nachwuchsleistungszentrum kosten.
Fotocredits: Andreas Gebert