Hamburg – Markus Gisdol hat lange mit sich gerungen, jetzt hat er eine Entscheidung getroffen. Nur verraten wollte der Trainer des Hamburger SV noch nicht, wen er in der Bundesliga-Rückrunde ins Tor stellt: weiterhin Stammkeeper Christian Mathenia oder U21-Europameister Julian Pollersbeck?
«Die Entscheidung ist weitgehend gefallen. Aber wir werden noch mal die Köpfe zusammenstecken, auch mit dem Torwarttrainer», sagte der 48-Jährige. Am Freitag nach dem Abschlusstraining für das Spiel beim FC Augsburg am Folgetag will er seinen Keepern und der Mannschaft seine Wahl mitteilen. An den Vortagen hatte er immer wieder von einer «Bauchentscheidung» gesprochen.
Ein ehemaliger HSV-Keeper zeigte bereits Verständnis, sollte der Trainer sich zum Wechsel entschließen. «Wenn man 17. der Tabelle ist, ist es legitim, das zu tun», meinte Richard Golz, der von 1987 bis 1998 das Tor der Hanseaten hütete.
Die Beantwortung der T-Frage ist auch für Gisdol risikoreich. Angesichts der prekären Situation als Tabellenvorletzter ist der Schlussmann noch stärker gefordert, seinem Team Rückhalt und Sicherheit zu geben. «Eine schwere Entscheidung. Ich möchte nicht in der Haut des Trainers stecken», sagt Sportchef Jens Todt. Beim Casting sowohl im Training als auch in den Testspielen konnte sich weder Mathenia noch Pollersbeck einen deutlichen Vorteil erarbeiten.
Dass Pollersbeck überhaupt wieder als Nummer eins infrage kommt, war vor wenigen Wochen undenkbar. Da war der 1,95-Meter-Mann nur noch dritte Wahl hinter Mathenia und Ersatzmann Tom Mickel. Zu faul, zu genügsam, zu selbstgefällig, hieß es. Seine körperliche Verfassung sei nicht die beste.
Heftige Kritik prasselte auf den 23-Jährigen ein. «Er denkt, er habe es nicht nötig. Er ist zu bequem und hat sehr wenig Eigenantrieb. Julian fehlt es an Selbstkritik», rüffelte ihn sein früherer Lauterer Torwarttrainer Gerry Ehrmann in einem Sport1-Interview und legte nach: «Wenn man so verantwortungslos mit seinem Job umgeht, ist das traurig.» Das war vor acht Wochen.
Pollersbeck galt bei seinem Wechsel im Sommer vom Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern zum HSV als Investition in die Zukunft. Beim Gewinn der U21-EM wurde er als bester Torwart des Turniers geehrt. Trainer Stefan Kuntz adelte seinen Schlussmann: «Julian ist bereit für die Bundesliga.» Der HSV griff zu und holte sich das Talent für 3,5 Millionen Euro. Stammkeeper René Adler ging zu Mainz 05.
Fortan war der Kampf ums HSV-Tor eröffnet. Der Neue könnte aus dem Stand Mathenia verdrängen, wurde gemutmaßt. Doch dann griff der Jung-Keeper in Testspielen daneben, machte nicht den sichersten Eindruck. Erst wackelte er, dann fiel er. Mathenia, der in der vergangenen Spielzeit den lange verletzten Adler immer wieder überzeugend vertreten hatte, ging als neue Nummer eins in die Saison.
Als sich der HSV durch die Hinrunde quälte, geriet auch Mathenia in den Fokus. Einige Gegentore gingen auf die Kappe des 25 Jahre alten Ex-Darmstädters. Auch deshalb stehen nur 15 Punkte für den Tabellenvorletzten zu Buche. Also drückte Gisdol in der Winterpause den Resetknopf und eröffnete das Rennen um den Platz im Tor. Jetzt hat ihm sein Bauch die Lösung der kniffligen Aufgabe verraten.
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(dpa)