Monte Carlo – Der Leichtathletik-Weltverband will mit umfassenden Reformen die Lehren aus der größten Krise seit Bestehen ziehen und eine neue Ära einleiten.
«Wir müssen akzeptieren, dass die Reputation der IAAF und der Leichtathletik durch die Ereignisse, die ans Tageslicht gekommen sind, getrübt wurde», schrieb IAAF-Präsident Sebastian Coe im Vorwort des Reformkonzepts. Es soll am Samstag auf einem außerordentlichen IAAF-Kongress in Monte Carlo verabschiedet werden. Auslöser für die Erneuerung sind der Korruptionsskandal um den Ex-Präsident Lamine Diack und die Doping-Affäre um Russland.
«Ich weiß, das es wirklich einen Appetit auf Veränderung gibt. Veränderungen kreieren Vertrauen», meinte Coe. «Und mit der Veränderung wird das Vertrauen der sauberen Athleten zurückkehren.»
Grundlage für eine bessere Zukunft, in der mafiöse Zustände in der IAAF-Führung wie zu Zeiten Diacks nicht mehr möglich sein sollen, wird eine neue Satzung. «In Hinsicht Machtkontrolle, Transparenz und Einhaltung der ethischen Werte halte ich die Maßnahmen für richtig und wichtig», urteilte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), und Initiator des Sonderkongresses.
Zu den Eckpfeilern der Reform-Satzung gehört, dass das bisher allmächtige Council sich nur noch um sportliche Belange kümmern und ein neues Exekutive Board für die wirtschaftlichen Angelegenheiten verantwortlich sein wird. Dadurch soll auch die Macht des Präsidenten – dessen Amtszeit auf zwölf Jahre begrenzt wird – beschränkt werden. Außerdem ist der Präsident nicht mehr unmittelbar den hauptamtlichen Mitgliedern gegenüber weisungsbefugt. Diese Aufgabe übernimmt ein Geschäftsführer. «Der Präsident kann dann nicht mehr so einfach Gelder verschieben, wie es unter Diack der Fall war», betonte Prokop.
Das Führungspersonal der IAAF muss sich zudem zukünftig einem Integritätscheck durch eine Kommission («Vetting Commission») stellen. «Wir werden sehen, wie viele der Councilmitglieder diese Überprüfung unbeschadet überstehen werden», meinte Prokop.
Zudem soll eine «Athletics Integrity Unit» die Anti-Doping-Maßnahmen der IAAF – von den Kontrollen bis zur Untersuchung und Verfolgung von Verstößen gegen die Regeln – übernehmen.
«Das ist eine moderne Satzung, die den Anforderungen des internationalen Sports gerecht wird», befand Prokop. «Die IAAF ist mit dieser Satzung denen vieler anderer internationaler Verbände einen Schritt voraus.» Mit diesen Strukturen hätte der in Frankreich wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche angeklagte Diack «nicht agieren können, wie er agiert» habe.
Auf Widerstand gestoßen ist das Vorhaben von Coe, die vollständige Gleichberechtigung in den Führungsgremien der IAAF schon bis 2019 herzustellen. Nun sollen bis 2027 jeweils die Hälfte der Vizepräsidenten sowie 13 von 26 Councilmitglieder Frauen sein. Durch diesen, erst in den vergangenen Wochen gefundenen Kompromiss wurde es notwendig, auf dem Kongress am Samstag zwei Satzungen zu verabschieden: Eine die vom 1. Januar 2017 in Kraft tritt und übergangsweise bis Ende 2018 gültig ist. Danach wird sie von Satzung II abgelöst, die die entsprechenden Frauen-Regeln enthält.
«Ich möchte, dass unsere Satzung ein lebendes Dokument ist», sagte Coe. «Eines, das uns führt und lenkt und der Welt deutlich macht, für was wir stehen und nicht, dass wir auf einem verstaubten Regal sitzen bleiben.»
Ob die strukturelle Veränderung auch dem nicht unumstrittenen Coe, der jahrelang unter Diack Vizepräsident war und nichts von dessen Machenschaften mitbekommen haben will, Reputation verschafft? «Er hat mit dieser Reform-Satzung ein ganz wichtiges Paper vorgelegt. Es kann die Basis sein, dass er als Erneuerer und Reformer in die Annalen der Leichtathletik eingehen kann», sagte Prokop.
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(dpa)