Paris – Angelique Kerber hatte genügend Zeit, um den Durchbruch von Alexander Zverev in die Top Ten zu verfolgen. Nach ihrer erneuten Auftaktpleite in Rom hatte sich die Weltranglisten-Erste zu ihren Großeltern nach Polen zurückgezogen.
Vor den French Open wollte Kerber etwas Zeit für sich haben und die jüngsten Rückschläge verarbeiten. Aus der Ferne warf sie aber natürlich einen Blick auf die Geschehnisse in der italienischen Hauptstadt, in der Zverev vor einer Woche mit dem Finalsieg gegen Novak Djokovic den bislang größten Coup seiner Tennis-Karriere landete. Kerber freute sich für den 20 Jahre alten Hamburger. «Ich glaube, er hat eine große Zukunft vor sich. Gerade mit dem Sieg in Rom hat er schon einmal den i-Punkt draufgelegt», sagte die Kielerin. «Ich bin gespannt, wie es bei ihm weitergeht.»
Kerbers Freude über die bärenstarken Leistungen von Zverev in den vergangenen Wochen ist allerdings nicht ganz ohne Eigennutz. Schließlich hat sich der Fokus der deutschen Öffentlichkeit seitdem ein bisschen verlagert. Auf einmal reden nicht mehr alle nur über Kerber und ihr schwieriges Jahr seit der Traumsaison 2016 mit doppeltem Grand-Slam-Titel und Sprung auf den Tennis-Thron. Die Aufmerksamkeit richtet sich nun auch auf Zverev, schließlich ist die Sehnsucht nach einem deutschen Superstar bei den Herren nach wie vor riesig.
«Ich glaube, es nimmt mir wirklich ein bisschen Druck», sagte Kerber, die an der gestiegenen Erwartungshaltung rund um ihre Person zuletzt deutlich zu knabbern hatte. «Fürs deutsche Tennis, für uns beide, ist das, glaube ich, genau richtig», sagte Kerber. So verteilt sich das Interesse ein wenig, auch wenn Kerber als Nummer eins der Welt in Paris erneut das Zugpferd der Damen-Organisation WTA sein wird.
Die vielen Termine und Pflichten, die die Rolle des Branchenprimus mit sich bringen, setzen Kerber nach wie vor zu. Die 29-Jährige ist eine, die viel Zeit für sich braucht, rund um die Turniere auch immer wieder versucht, dem Trubel zu entgehen. In ihrer neuen Rolle als Nummer eins wird dies aber immer schwerer. Und noch immer hat die Norddeutsche keinen perfekten Weg für sich gefunden, damit umzugehen.
Die Resultate in diesem Jahr sind deshalb enttäuschend, nur in Monterrey schaffte es Kerber ins Finale, ein Titel fehlt 2017 noch in ihrer Sammlung. Und auch die vergangenen Wochen machen wenig Mut, dass es beim Sandplatz-Spektakel in Paris nun besser wird. Bei ihrem Lieblingsturnier in Stuttgart flog sie gleich zum Auftakt gegen die Französin Kristina Mladenovic raus, auch danach in Madrid und Rom war schnell Schluss. Hinzu kam, dass Kerber auch noch über Probleme am linken Oberschenkel klagte.
Zeit, um für ein paar Tage abzutauchen. In der Abgeschiedenheit des polnischen Städtchens Puszczykowo tankte Kerber wieder Kraft und Mut und freut sich nun sogar auf die French Open. «Ich weiß wieder, was ich will», sagte Kerber vor dem Abflug von München nach Paris. «Die Motivation ist wieder da.» Die Tatsache, dass in Roland Garros im vergangenen Jahr bereits in der ersten Runde für sie Schluss war, sieht die Nummer eins der Welt sogar positiv. «Ich habe nichts zu verlieren. Schlechter kann es ja nicht werden.»
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(dpa)