New York – Boris Becker spricht von Alexander Zverev als «künftigem Superstar», Roger Federer stuft ihn bei den US Open als «schwer zu besiegen» ein.
Konkurrenten und Experten sagen dem 20-jährigen Hamburger seit längerem eine glänzende Zukunft mit ähnlichen Erfolgen wie in der Becker-Graf-Ära voraus. Vielleicht beginnt der Weg zu einem nächsten deutschen Grand-Slam-Märchen beim trubeligen Tennis-Spektakel in New York schon an diesem Montag. Vielleicht beginnt Zverev ein knappes Jahr nach dem Triumph von Angelique Kerber im Abendprogramm des ersten Turniertags seine Reise bis ins Endspiel der US Open. Oder gar bis zum Titel?
Die Chancen, bis zum Schluss mitzumischen, sind jedenfalls riesig und haben sich nach der Absage von Andy Murray und damit dem Fehlen des nächsten Topspielers noch gesteigert. All dem Gerede über seine Mitfavoritenrolle begegnet Zverev mit Gelassenheit.
«Ich habe wirklich das Gefühl, dass ich einer von vier, fünf Spielern bin, die sehr weit kommen können, vielleicht sogar das Turnier gewinnen können», sagte er. «Ich fühle mich so gut wie noch nie vor einem Grand Slam.» Mit verschränkten Armen stand der Schlaks am Samstag im Schatten an der Bar des Spielergartens und demonstrierte deutlich den Glauben an seine eigene Stärke. Er selbst zählt sich in Flushing Meadows mit zu den Titelkandidaten.
Wie groß die Erwartungen an die Nummer sechs der Welt und die Nummer vier der Setzliste auch von außen sind, zeigte das Medieninteresse vor dem Auftakt. Schon vor seinem ersten Auftritt gegen den Qualifikanten Darian King aus Barbados in der Nacht zum Dienstag standen die Kamera-Teams für ihn Schlange.
Nur die Besten der Branche müssen sich am Wochenende der Presse stellen. Und für eine mögliche Erfolgsgeschichte von Zverev spricht auch, dass von denen im Billie Jean King National Tennis Center nicht mehr viele vertreten sind. Kurzfristig sagte der Weltranglisten-Zweite Murray ab, weil ihn seine Hüfte weiter plagt.
Vorjahresfinalist Novak Djokovic schmerzt der Ellbogen, Titelverteidiger Stan Wawrinka unterzog sich einer Knie-OP. Auch der frühere Wimbledon-Finalist Milos Raonic und der ehemalige US-Open-Finalist Kei Nishikori fehlen.
Auf die beiden Topfavoriten, die diesjährigen Grand-Slam-Sieger Rafael Nadal und Roger Federer, könnte Zverev nur im Finale treffen. Murray wäre für ihn ein potenzieller Halbfinal-Kontrahent gewesen.
Allerdings: Bislang ist das Erreichen des Achtelfinals in Wimbledon das beste Resultat des Norddeutschen bei den vier wichtigsten Events. Bei körperlich und mental fordernden Partien über drei Gewinnsätze muss sich Zverev noch beweisen. «Ich denke, ich bin physisch wieder ein bisschen besser geworden. Ich habe große Turniere gewonnen, das hilft», sagte er. Für Tipps bietet sich neben dem früheren French-Open-Sieger Juan Carlos Ferrero als Mitglied seines Teams nun auch Becker als Verantwortlicher für das deutsche Herren-Tennis an.
Für die US Open hat sich das Ausnahmetalent mit seinen Turniererfolgen in Washington und beim Masters in Montreal empfohlen, bei dem er im Endspiel Federer besiegte. Entkräftet verlor er in Cincinnati in der ersten Runde, gewann beim Golfen und am Strand neue Kraft für die US Open. «Wenn er sein Potenzial abrufen kann, glaube ich definitiv, dass er sehr weit kommt», sagte Federer. «Das Problem für ihn ist, sein Niveau mental und körperlich konstant zu zeigen.»
Gleich für seinen Auftakt in New York bekommt der jüngere Zverev-Bruder die große Bühne. Für die zweite Partie der Nightsession wird er das Arthur-Ashe-Stadium gegen den klaren Außenseiter und Weltranglisten-168. King betreten. «Ich bin jemand, der es mag, auf den großen Bühnen zu spielen. Es ist für mich eher ein Genuss als Stress», sagte Zverev. Er meint damit kein Abendspiel gegen einen ihm unbekannten Gegner. Er redet von einem Endspiel gegen einen Topstar. Das Herren-Finale der US Open ist am 10. September.
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(dpa)