Berlin – Als Robert Harting unter Flutlicht im Berliner Olympiastadion noch geduldig Autogramme gab, war Christina Obergföll schon längst auf dem Weg zur großen ISTAF-Party.
Emotionalen Abschied feierten beide Weltklasse-Leichtathleten: Speerwerferin Obergföll beendet mit 35 Jahren ihre großartige Karriere, Diskus-Ass Harting eine turbulente und für ihn oft frustrierende Saison. Sie siegte und war überglücklich, er wurde Dritter und war zufrieden.
«Es war echt geil! Es war sensationell emotional. Es war sehr, sehr schön», sagte Obergföll. Als die letzte Träne verdrückt und die Ehrenrunde absolviert war, fiel eine Riesenlast von der ehemaligen Weltmeisterin ab. Für sie beginn ein neues Leben. Sieben Medaillen heimste die Perfektionistin von der LG Offenburg seit 2005 bei Olympia (2), Weltmeisterschaften (3) und Europameisterschaften (2) ein. Ihr größter Erfolg: WM-Gold 2013 in Moskau.
Punkt 16.08 Uhr ließ Obergföll den 600 Gramm schweren Speer zum letzten Mal fliegen. Den selbst nicht für möglich gehaltenen Sieg hatte die Ehefrau von Männer-Bundestrainer Boris Obergföll schon im fünften Durchgang klar gemacht: 64,28 Meter. Das Raunen im Olympiastadion schwoll zum Jubel an, die Kolleginnen standen an der Anlage Spalier und spendeten Beifall. Christina Obergföll kamen die Tränen, dann ging die Olympia-Achte von Rio mit der Deutschland-Fahne auf die Ehrenrunde.
Söhnchen Marlon, zwei Jahre und zwei Monate alt, die Eltern, ihr Trainer und ihre beste Freundin waren dabei. Die Party in einem Berliner Hotel zog sich bis Sonntagmorgen, erst gegen 3 Uhr fielen die Obergfölls geschafft, aber glücklich ins Bett. Für Marlon wurde ein Babysitter engagiert. «Speerwerfen sagen kann er noch nicht, aber er wirft schon ganz ordentlich Gegenstände durch die Gegend», berichtete die stolze Mama lachend.
Mit ihrer finalen Leistung war sie mehr als zufrieden. «64,28 – das wäre auch in Rio nur der vierte Platz gewesen. Also sage ich: Alles gut. Ich bin überglücklich.» Dabei wäre in letzter Minute fast alles schief gelaufen, verriet Obergföll. «Beim letzten Einwurf hat’s mir reingestochen, das fühlte sich an wie die Achillessehne.» Ihr Physiotherapeut untersuchte und warnte sie: die Sehne könne reißen. Doch Obergföll nahm das Risiko in Kauf. Durch die Bewegung wurde es besser. «Dann hab‘ ich gedacht: Scheiß‘ drauf, genieß‘ es einfach.»
Auch ihre Disziplin-Kollegin Linda Stahl (Leverkusen) und die frühere Hammerwurf-Weltmeisterin und -Weltrekordlerin Betty Heidler (Frankfurt/Main) machen Schluss. Beim 75. ISTAF wurden beide Frauen verabschiedet. Ex-Europameisterin Stahl ist verletzt und konnte nicht mehr starten, Heidler lässt den Hammer zum letzten Mal am kommenden Samstag auf Borkum fliegen. 17 Medaillen haben Obergföll, Heidler und Stahl seit 2005 bei Olympia, WM und EM gesammelt. Ein Aderlass für den Deutschen Leichtathletik-Verband und seine seit Jahren medaillen-liefernden Werfer.
Diskuswurf-Olympiasieger Robert Harting macht den Zeitpunkt seines Karriereendes vom Abschneiden bei der Leichtathletik-EM 2018 in Berlin abhängig. Beim Heimspiel in zwei Jahren will sich der dann 33 Jahre alte Lokalmatador noch einmal EM-Gold holen und von seinen Fans verabschieden. «Wenn ich da gewinne, dann ist Schluss, werde ich da nur Zehnter, dann hänge ich wohl noch ein Jahr dran», sagte der dreimalige Welt- und zweimalige Europameister.
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(dpa)