Rostock – Nur einmal lächelt Olympiasieger Christian Schenk schelmisch: Er wird in einer vom Thema Doping und psychischer Erkrankung geprägten Veranstaltung gefragt, ob er befürchtet hatte, nach seinem Dopinggeständnis die 1988 in Seoul erkämpfte Goldmedaille aberkannt zu bekommen.
«Nein, da habe ich mich vorher ein bisschen schlau gemacht», erklärt der ehemalige Topathlet unter dem lauten Gelächter der gut 200 Zuhörer in der Rostocker Thalia-Buchhandlung. Er habe es von ganz offizieller Stelle, dass das Dopingvergehen verjährt sei.
Die Zuhörer sind gekommen, um bei der ersten Lesung der Autobiografie «Riss – mein Leben zwischen Hymne und Hölle» dabei zu sein. Obwohl Schenk tiefe Einblicke in seine Erkrankung, einer bipolaren Störung, gibt, wirkt er meist sehr gefasst und sicher. Gelegentlich zittern jedoch seine Hände. Frühere Bekannte sagen, dass die Veränderungen durch Krankheit und Dauermedikamente zu spüren seien. Kritische Fragen gibt es an diesem Abend nicht. Schenk macht deutlich, dass die psychische Störung sein Leben und das seiner Familie vollständig durcheinandergewirbelt hat.
Es ist befremdend, sich vorzustellen, dass dieser kräftige Zwei-Meter-Mann, der frühere König der Athleten, von Depressionen gezeichnet auf dem Bett liegt und sich Gedanken über einen Suizid macht. Eine Zuhörerin bedankt sich am Ende des Abends dafür, dass sich Schenk «ausgezogen hat» – im Buch und bei der Lesung. Er gibt sogar zu, sich aktuell in einer Privatinsolvenz zu befinden.
Er habe von seinem 10. bis zum 27. Lebensjahr hart gearbeitet und viel trainiert. Dank der Unterstützung von Trainern, Ärzten und Physiotherapeuten gab es die Möglichkeit, Olympiasieger zu werden. Darauf sei er stolz.
Die Vorsitzende der Doping-Opfer-Hilfe, Ines Geipel, selbst Opfer des DDR-Dopings, zollt Schenk Respekt. Er habe vielleicht erst die Hälfte der Strecke zurückgelegt. «Er weiß immer noch nicht so richtig, in welchem System er damals gesteckt hat.» Vielleicht bekomme Schenk in ein paar Jahren einen anderen Blick darauf. Geipel weiß aber, dass es für die Bearbeitung des DDR-Dopings nicht «den einen Maßstab» gibt. «Der Knoten bei ihm ist noch nicht gelöst.» Gut sei aber, dass er sich nicht wegduckt wie die anderen Stars.
Ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den Sportlern, gegen die er antrat, hat Schenk nicht. Ja, er habe betrogen. Doch, ob die anderen betrogen haben, dass wisse keiner. «Aber es ist zu vermuten, dass wir in einer Zeit gelebt haben, wo Doping alle Türen geöffnet waren und dass man damit manipuliert hat.» Namen nennt er nicht.
Schenk zitiert eine Studie, die mit großer Wahrscheinlichkeit einen Zusammenhang zwischen Doping mit Steroiden und Depressionen sieht. Die Lebenserwartung von Dopingnutzern sei zwischen 7 und 13 Jahren geringer. Das verängstigte ihn ein bisschen, mache ihn aber nicht wütend. «Ich war geschockt.» Und er fühle sich nicht als Opfer. Er habe ein besonderes Leben geführt, das die größten Höhen gebracht habe. «Jetzt habe ich eben die Tiefen auch ein bisschen erlebt.»
Er erwarte nicht, dass seine Ex-Sportkollegen die gleiche Ehrlichkeit über ihre Doping-Vergangenheit an den Tag legen wie er. Jeder habe sein Leben zu führen. Aber er fordert, dass für die Kinder in der Nachwuchsarbeit gute Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Wenn sie Leistungssport betreiben, dürften sie nicht in die Situation kommen zu denken, dass sie Dopingmittel nehmen müssten.
Dass es ohne Doping geht, habe er nach der Wende in Mainz zeigen können. Dort sei ein deutsches Zehnkampfteam zusammengewachsen mit eigenen Dopingkontrollen. Von 1990 bis 1993 habe er seine Bestleistungen gehabt. «Da war ich absolut clean. Wir haben bewiesen, dass man sauber Höchstleistungen bringen kann.»
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(dpa)