Nürnberg – Mama Mia! Ein Jahr nach der Geburt ihrer Zwillinge ist Christina Schwanitz wieder zurück in der Kugelstoß-Weltspitze – und Topfavoritin der Heim-EM in Berlin.
«Dass es bei der deutschen Meisterschaft so gut gelaufen ist, macht mich stolz», sagte die 32 Jahre alte Ausnahmeathletin und war «mega-happy». Schließlich gewann sie bei den Titelkämpfen in Nürnberg am Freitagabend nicht nur den sechsten Titel, sondern mit starken 20,06 Metern.
«Zwanzig Meter im Frauenbereich zu stoßen, da muss schon vieles passen. Kein schlechter Stoß», zollte ihr Trainer Sven Lang großen Respekt. Schwanitz ist mit Abstand die Nummer eins in der europäischen und auf Rang zwei in Weltbestenliste – ist sie nun auf dem Weg zum bisher unerreichten goldenen EM-Hattrick im Kugelstoßen der Frauen nicht mehr zu stoppen? «Wir halten den Ball flach. Wenn es klappt, kann man sich umso mehr freuen», sagte die «Sportlerin des Jahres» von 2015. «Mein Wunsch ist es aber schon.»
Ein halbes Jahr nach der Geburt hat die Athletin des LV 90 Erzgebirge das Training aufgenommen, nicht ohne Tiefs und Qualen ihren Körper wieder auf Weltniveau getrimmt – und 23 Kilogramm abtrainiert. «Ich hatte einen Körperumfang von 1,40 Meter. Als ich Bilder von mir sah, habe ich gedacht: Ich passe doch gar nicht mehr durch die Tür», erzählte die sächsische Frohnatur. Dabei habe sie sich in der Schwangerschaft schon mit «der Fresserei» zurückgehalten, weil sie familiär bedingt die Anlage habe, «Essen in Hüftgold umzuwandeln».
Die überflüssigen Pfunde wieder runter zu bekommen, war das kleinste Problem bei ihrem Start zum Comeback. «Ich war die ersten drei, vier Monate klinisch einfach nur tot», beschrieb die Ex-Weltmeisterin ihren anfänglichen Zustand nach der Trainingsfron im Kraftraum. Hinzu kamen die Versorgung der Kinder, der Haushalt und das Kümmern um ihren Mann. «Da gab es Momente, in denen ich mich gefragt habe, warum ich es mir antue», gab Schwanitz zu. «Doch dann bin ich ins Kinderzimmer gegangen und habe mir gesagt: Dafür!»
Allerdings bekennt sie auch, dass bei der Entscheidung, schnell wieder in den Ring zu steigen, auch etwas Egoismus dabei gewesen war. «Ich wollte mal wieder Zeit für mich haben, und zwar qualitative Zeit», erklärte Schwanitz. Sie wollte nicht nur mal im Wald spazieren gehen und ein Buch lesen, sondern wieder ein Gefühl für den Körper bekommen, eine Stabilität im Leben haben: «Ich liebe meine Kinder. Ich möchte gern die Mama plus sein.»
Bei der EM möchte sie wieder die Kugelstoßerin Nummer eins werden und gern in Richtung ihrer Bestleistung von 20,77 Meter stoßen. «Schau’n wir mal», sagte Schwanitz, die von Dienstag bis zum EM-Auftritt ins olympische Zentrum nach Kienbaum vor den Toren Berlins zieht.
«Wir wollen ihren Schlaf sicherstellen. Ich denke, sie kann bei der EM etwas weiter stoßen, wenn sie ausgeruht ist», sagte Trainer Lang, der von der Art und Weise des Wiedereinstiegs seiner Musterschülerin begeistert ist. «Von Anfang an war sie unwahrscheinlich ehrgeizig. Ich musste sie sogar bremsen», sagte er. Sie habe ihren Tagesablauf mit den zwei Kindern sehr professionell gestaltet. «Gehofft habe ich es schon, erwartet habe ich es ehrlicherweise nicht», meinte Lang.
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(dpa)