Sierra Nevada (dpa) – Silvia Mittermüller hatte es irgendwie geahnt. «Snowboarden ist nicht dasselbe, wenn du keinen Spaß hast», schrieb sie bei Facebook, das war nach dem Training für den Slopestyle-Event bei den Weltmeisterschaften in Spanien.
Der Parcours in der Sierra Nevada lag der Münchnerin einfach nicht. «Darin Freude zu finden ist schwer», berichtete sie am Mittwochabend. Prompt verpasste sie tags darauf die Final-Qualifikation. Ohne Spaß keine Show, so läuft das bei Athleten der Kategorie Mittermüller. Für sie ist Sport mehr als Wettkampf, er ist eine Philosophie. Mit dem oft bürokratischen und steifen Verbandsbetrieb fremdeln viele immer noch – und immer wieder.
Mittermüller, Snowboard-Kollege Maximilian Preissinger oder auch die Ski-Artistin Lisa Zimmermann: Sie haben sich fernab von Rennen des Weltverbands (FIS) und teils ohne Leitung des Deutschen Skiverbands (DSV) in die Weltspitze vorgekämpft oder sind auf dem Weg dahin.
«Wir hatten einfach nur eine gute Zeit», erzählte die verletzte Zimmermann jüngst der «Welt am Sonntag» und berichtete von einer Begebenheit, als sie mit einer Weltcup-Kollegin ein wenig zwanglos Skifahren wollte. Deren Trainer aber verbot dies, um weiter Sprünge zu üben. «Das sind Punkte, bei denen ich mich nicht mehr wohlfühle und mich frage: Wo soll das alles hinführen», erzählte Zimmermann.
Wenn schon die 21-jährige Ski-Freestylerin, die ihren WM-Titel im Slopestyle von 2015 wegen eines Kreuzbandrisses nicht verteidigen kann, so denkt, wie geht es dann erst der 33-jährigen Mittermüller?
Die Bayerin kennt noch Snowboard-Zeiten, in denen an Weltcups, WM oder Olympische Spiele nicht zu denken war. «Das war eine ganz andere Welt», berichtet sie nicht ohne Stolz: «Ich habe die goldenen Jahre mitgemacht, von den Kinderschuhen bis zum Leistungssport.»
Inzwischen steckt sie im kleinen Dilemma. Einerseits hat sie durch die Einbindung in den DSV Planungssicherheit und muss sich erstmals seit diesem Winter finanziell keine Sorgen machen. Andererseits ist sie abhängiger, muss sich mit Teamkollegen und einem neuen Trainer absprechen und spürt den leichten Druck, Ergebnisse abzuliefern.
Im Rennen um die Qualifikation für Olympia 2018 etwa verpasste sie etliche Wettbewerbe in dieser Saison wegen einer schweren Knieverletzung, Weltcups hatte sie überhaupt noch keine bestritten. Dabei war ihr vor einem Jahr in Tschechien als erster deutscher Snowboarderin überhaupt ein Weltcup-Sieg im Slopestyle gelungen.
Die Winterspiele in Korea will sie erleben, als «letztes Puzzleteil», wie sie sagt. «Das ist wie Frieden finden nach all den Jahren.»
Sie meint damit anstrengende und unsichere Jahre als Einzelkämpferin, in denen sie von Event zu Event zog, oft ohne genau zu wissen, wo sie überhaupt übernachten könne. Aber auch wunderschöne Jahre, in denen sie Freiheiten genoss und mit Kollegen einen Zusammenhalt erlebte, der sie prägte. «Manchmal geht mir das Kreative und Verrückte etwas ab. Für mich ist Snowboarden größer als Wettbewerbe.» In dieser Welt ist ein gemeinsames Bierchen am Abend, mit dem ein cooler Trick oder ein famoser Sprung gefeiert werden, ähnlich bedeutend wie Medaillen.
Genau diese Einstellung als Snowboard-Freigeist will sich Mittermüller bewahren, und sie auch an andere weitergeben. Ihr Teamkollege Preissinger ist zwar erst 18 Jahre alt, «aber er weiß, wie Snowboarden früher war», sagt Mittermüller. «Ich hoffe, dass er die Fackel übernimmt.» In der Sierra Nevada schaffte es auch der Bayer nicht ins Slopestyle-Finale, ist aber wie Mittermüller noch für den Big Air vorgesehen. Dann hoffen beide auf etwas mehr Spaß.
Fotocredits: Sven Hoppe