Luzern – Mit dem phänomenalen Rekordwurf auf 94,44 Meter hat Johannes Vetter die Hoffnung auf eine deutsche Speerwurf-Sternstunde am 12. August bei der WM in London geschürt.
«Die 90,75 und 91,06 Meter sind erklärbar, die 93,06 Meter weniger und zu den 94,44 Meter fallen mir keine Worte ein», sagte der 24 Jahre alte Olympia-Vierte der Deutschen Presse-Agentur zu seiner unglaublichen Wurfserie beim Meeting in Luzern. «So richtig wusste ich nicht, was in mir steckt. Es ist wie mit einer Wundertüte.»
Das Feuerwerk seiner 90-Meter-Würfe in den regnerischen Himmel erlebte er wie im Rausch. «Nach dem 90-Meter-Wurf hörte ich eine innere Stimme, die sagte: Mach‘ weiter», berichtete Vetter. Als sein Speer wenig später jenseits der 93 Meter landete, hatten sein Trainer Boris Obergföll und auch er Tränen in den Augen. «Und im vierten Versuch habe ich dann alles auf eine Karte gesetzt, es steckte so viel Adrenalin in mir», sagte der Athlet der LG Offenburg. Mit einem fulminanten Hechtsprung kurz vor die Abwurflinie hatte er dem Speer noch einen Extra-Anschub für den Rekordflug mitgegeben.
«Das ist genial für unsere Sportart, was da aktuell passiert», sagte sein Freund und Konkurrent Thomas Röhler aus Jena, der den deutschen Rekord erst am 5. Mai in Doha auf 93,90 Meter verbessert hatte – und schnell wieder los wurde. «Wir schreiben gerade weltweit Geschichte. Das ist eine tolle Sache, wie wir uns hochpushen.»
Der Olympiasieger von Rio mahnt zwar, trotz der deutschen Dominanz «auf dem Boden zu bleiben, weil so etwas Beispielloses bei der WM auch einem anderen gelingen könnte», fügte jedoch selbstbewusst hinzu: «Es ist aber auch nicht vermessen zu fragen: Wie viele Medaillen können wir gewinnen?»
Schließlich liegen Vetter, Röhler und Andreas Hofmann (88,79 Meter) auf den ersten drei Plätzen der Weltbestenliste. «Wir sind nun mehr als fünf Meter vor der Konkurrenz. Das ist ein Niveau für sich», meinte Vetter und betonte auch: «Klar, die Erwartungen sind nun hoch, aber die WM wird kein Selbstläufer. Ein kleiner technischer Fehler kann zehn Meter kosten.» Bisher konnten nur Detlef Michel (1983) und Matthias de Zordo (2011) Weltmeister werden – zwei deutsche Medaillengewinner im Männer-Speerwurf gab es noch nie.
Schon in der Nacht nach seinem großen Wurf und nur vier Stunden Schlaf hat er sich Gedanken über den mit einem Schlag gestiegenen Erfolgsdruck gemacht. «Was erwarten nun die Menschen und die Leichtathletik von mir», fragte sich Vetter und weiß: «Das war außergewöhnlich in Luzern. 94 Meter wirft man nicht jeden Tag.»
Schließlich stand die Bestleistung des gebürtigen Dresdners vor seinem Wechsel zu Bundestrainer Obergföll im Oktober 2014 noch bei 79,75 Metern. Unter der Regie des WM-Dritten von 1995 und 2003 steigerte er sich von 85,40 Metern (2015) über 89,57 (2016) auf nun 94,44 Meter.
«Boris ist die Kinnlade heruntergefallen, er hat sich gefreut wie Bolle», sagte Vetter. «Er ist der Kopf der ganzen Sache.» Mit ihm hat er die Wurftechnik radikal umgestellt. «Als ob man auf einen Resetknopf drückt», erklärte er.
Wenn sich der Sportsoldat weiter in so großen Schritten weiterentwickelt, ist auch der 21 Jahre alte Weltrekord des Tschechen Jan Železný erreichbar. «An den 98,48 Meter orientiere ich mich null. Ich möchte meine eigene Geschichte schreiben», sagte Vetter, für den die 94,44 Meter jedoch auch nicht den perfekte Wurf bedeuteten: «Da ist noch Luft nach oben.»
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(dpa)