Dierhagen – Olympia-Gold mit 23, Erfolge, Jobs, dann Zweifel, die psychische Krankheit, Suizidgedanken. Aufrappeln, neue Rückschläge – und vor gut sieben Monaten dann die spektakuläre Doping-Beichte.
Für Christian Schenk verlief das Leben bislang wie eine «Sinuskurve». Zur Zeit schwebt der Zehnkampf-Olympiasieger von 1988 obenauf. «Ich spüre gerade: Es passiert etwas Gutes in meinem Leben. Ich bin im Moment sehr, sehr zufrieden. Ich fahre auf dem Deich zur Arbeit. Das kommt mir alles vor wie in einem guten Film», erzählt der Rostocker in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Dierhagen auf der Ostsee-Halbinsel Darß.
Dort, im Strandhotel Fischland, ist Schenk seit Dezember Sport- und Eventmanager. Und am Sonntag ist ein großer Tag – auch für den 54-Jährigen: Mit rund 500 Gästen und viel Ost-Sportprominenz wird eine Fitness-Oase eröffnet. Schenk ist künftig der Manager, für 19 Sportarten gibt es Fitness-Programme. Alles im Griff zu haben, ist eine «sehr große Herausforderung» im Leben eines Mannes, der in seiner aktiven Karriere 28 Zehnkämpfe bestritten hat. Der mal ein Held war – aber auch oft gescheitert ist und am Boden lag.
Zur Einweihung am «Tag der offenen Tür» haben sich Wegbegleiter und Freunde angekündigt, die alle auch das Meer und den Norden lieben. Sogar Olympiasieger: Boxer Henry Maske, Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, Gewichtheber Matthias Steiner, Bobfahrerin Anja Schneiderheinze. Auch Kugelstoßer David Storl kommt – und von der Abteilung Fußball aus Rostock haben sich Martin Pieckenhagen und Ex-Kicker Stefan «Paule» Beinlich angekündigt.
Auch «Gentleman» Maske wurde 1988 in Seoul Olympiasieger – zwei Tage nach Schenk holte der spätere Profiboxer im DDR-Trikot Gold. «Ich habe großen Respekt vor Christian. Aber eins ist klar: Ich war damals ein Olympiasieger – aber er war der Olympiasieger», sagte Maske der dpa. «Christian ist ein sehr sensibler Mensch. Er hat jetzt eine tolle Chance, und mein großer Wunsch ist, dass er die auch nutzt und seine Stärken einbringt», meinte der 55 Jahre alte Unternehmer.
Ende August 2018 gab Schenk in einem Interview zu, dass er als DDR-Leichtathlet Oral-Turinabol-Pillen wie bunte Smarties geschluckt habe. Er wurde depressiv, hatte Suizidgedanken. Die bipolare Störung – eine Schwankung zwischen semi-manischen «euphorischen» Phasen und Depressionen – wird ihn sein Leben lang begleiten. «Für mich ist es wichtig, dass ich verstanden habe, dass ich diese Krankheit in mir trage. Und ich muss jetzt sehr wohl darauf achten, dass ich keine Auswüchse stärkerer Art mehr habe», erklärt Schenk.
Mit Rückfällen muss der Mecklenburger immer rechnen, die jüngste Diskussion um die Dopingopferhilfe hat ihn wieder nach unten gezogen. Dabei löste er sie selbst mit aus, weil er angekündigt hatte, die Erfolgschancen einer möglichen Entschädigung aus dem Opferfonds zu prüfen. Ist er Opfer? Täter? Mitläufer?
Er habe sich lediglich über den Fonds informiert und mit der früheren Leichtathletin Ines Geipel gesprochen, sagte er später. «Für mich hat sich der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Dopingmitteln und meiner Erkrankung nicht plausibel dargestellt», erklärte Schenk im dpa-Interview. «Und daher habe ich mich gegen die Finanzhilfe entschieden.»
Dass er jetzt eine neue Chance bekommen hat, empfindet er als «pures Glück. Aber wie sagte eine gute Freundin von mir einmal: Nie passiert nichts», erzählt Schenk, «das heißt: Wenn man etwas geleistet hat, wird immer wieder etwas Neues passieren.» Kraft geben ihm seine Söhne Arvid und Aaron – und ein «exorbitanter Freundeskreis».
Zur Arbeit kommt Schenk aus Wustrow, bei gutem Wetter mit dem Fahrrad auf dem Deich. Die neun Kilometer sind für ihn eher ein Aufwärmprogramm. Nach 17 Jahren Leistungssport war er zehn Jahre lang im Marketing-Bereich tätig, dann zehn Jahre für Bildungsprogramme zuständig. «Man sollte alle zehn Jahre die Branche wechseln», meint Schenk schmunzelnd. «Für mich sind das hoffentlich jetzt zehn Jahre Tourismus. Dann bin ich 64 – und dann ist auch gut.»
Fotocredits: Bernd Wüstneck
(dpa)